Blauhorn, Josef

Josef Blauhorn

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19.6.1883 Wien – 1944 London

Nach dem Studium der Rechte an der Universität Wien trat Josef Blauhorn zunächst in die Dienste der Prager Eisenindustrie-Gesellschaft, um 1916 als Einzelprokurist an das Wiener Bankhaus Gebrüder Gutmann zu wechseln, für das er bis zu seiner Flucht aus Österreich 1939 tätig sein sollte. Außerdem war er u. a. Vorstandsmitglied der Hanf-, Jute- und Textil-Industrie AG, gehörte dem Verwaltungsrat der Österreichischen Waffenfabriks-Gesellschaft an und war Gesellschafter der Wiener Handelsfirma M. G. Pinter & Co. Gemeinsam mit den drei Kindern Karl Max, Anna Lisbeth und Hans Georg lebten er und seine Frau Auguste ("Gusti", née Koppel, 1886–1961) zunächst in Wien 3, Esteplatz 8. 1924 übersiedelte die Familie nach Döbling, den 19. Wiener Gemeindebezirk, wo sie in der Grinzinger Allee 54 eine Villa bewohnte. Dort bewahrten Josef und Auguste Blauhorn auch ihre wertvolle Kunstsammlung auf, die aus rund 200 Werken vorwiegend österreichischer Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts bestand. In Augustes Vermögensanmeldung, die sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nach dem "Anschluss" ausfüllen musste – Josefs Vermögensanmeldung ist seit 1947 unauffindbar –, bewertete der Schätzmeister Ambros Moritz die Sammlung mit annähernd 67.000 Reichsmark. Anfang des Jahres 1939, als die Blauhorns Vorbereitungen zur Flucht aus Österreich trafen, suchte Josef erstmals um Ausfuhrbewilligung für die Kunstwerke an, die ihm mit Ausnahme von zehn Stücken, welche die zuständige Wiener Magistratsabteilung 50 in der Folge als "national wertvolles Gut" sicherstellte, erteilt wurde. Von den sichergestellten Gemälden, die in die Depots der Österreichischen Galerie bzw. der Zentralstelle für Denkmalschutz abtransportiert wurden, erwarb etwa der "Sonderbeauftragte des Führers" Franz Eybls Großmutter am Spinnrad. Rudolf von Alts Prager Brückenkopf wurde von der Universität Prag angekauft, die es später Adolf Hitler als Geschenk überreichte. Da vor allem die Wiener Gestapo sowie das Reichswirtschaftsministerium an der Verwertung des Blauhorn'schen Vermögens interessiert waren, kam die tatsächliche Ausfuhr der restlichen, freigegebenen Werke der Sammlung nicht zustande; sie befanden sich weiterhin in der Villa Blauhorn. Rechtsanwalt und Treuhänder Hans Dechant erwirkte im Laufe des Jahres 1939, dass die Blauhorn vorgeschriebene Reichsfluchtsteuer in Höhe von 284.000 Reichsmark gegen die Überlassung der Liegenschaft sowie seiner Wertpapiere beglichen würde. Dafür wurde Blauhorn "wegen seines loyalen Verhaltens die abgabenfreie Ausfuhr seines Hausrates, seiner Bildersammlung (nach Massgabe der Genehmigung durch die Denkmalbehörde) und des Silbers" durch das Reichswirtschaftsministerium in Aussicht gestellt. Nachdem er zuletzt im März 1940 sein Ausfuhransuchen wiederholt hatte, ohne dass die erneut freigegebenen Werke ins Londoner Exil nachgeschickt wurden, erging am 6. Oktober 1941 die Beschlagnahmeverfügung der Gestapo, Staatspolizeileitstelle Wien, zusammen mit der Einleitung des Verfahrens der Ausbürgerung der Familie Blauhorn. Mittels Eingaben an den Oberfinanzpräsidenten Wien hatte Dechant, der seine eigenen Einkünfte zunehmend gefährdet sah, die Beschlagnahme von Blauhorns Mobilien zu stoppen versucht. Nachdem diese Interventionen vergeblich blieben, erstritt er vor dem Landgericht Wien eine ausständige Kostenforderung gegen Josef Blauhorn. Im Mai 1942 sollte Dechant auf eigenen Antrag seines Amtes enthoben werden; ihm folgte Stephan Lehner als Verwalter nach. Bezüglich der Villa trat die Gestapo in Verkaufsverhandlungen mit dem Nationalsozialistischen Lehrerbund, der das Gebäude fortan als Schulungsheim nützte. Die Schätzungen, die Bernhard Witke, Julius Fargel und Adolf Wawra im Oktober 1941 im Auftrag der Gestapo in der Villa Blauhorn durchführten, ergaben, dass sich nur noch 54 Bilder dort befanden, die Witke in der Folge zu verwerten hatte. Darunter befand sich ein Gemälde von Anton Eberth, das die Neue Galerie des Joanneums in Graz erwarb, fünf weitere Werke wurden über das Dorotheum veräußert. Die seitens Karl Ebners, des stellvertretenden Leiters der Wiener Gestapo, beauftragten Ermittlungen nach den seit der letzten Erhebung in der Villa Blauhorn 1939 von dort verschwundenen Kunstwerken verliefen im Sande. Möglicherweise stehen die Ereignisse in Verbindung mit den Vorkommnissen rund um das 1943 geführte Strafverfahren gegen drei Mitarbeiter der bei der Vermögensverkehrsstelle eingerichteten Kunstkommission – Heinrich Höfflinger, Hans Kousek und Erich Sandruschütz –, die u. a. aus der Villa Blauhorn Gegenstände entwendet und weiterverkauft haben sollen. Welche Objekte hiervon konkret betroffen waren, ist heute allerdings nicht mehr rekonstruierbar.

Josef Blauhorn starb Anfang 1944 im Londoner Exil. Seine Witwe heiratete 1945 den ebenfalls nach London geflohenen Juristen Rudolf Franz Bienenfeld. Gemeinsam mit ihren Söhnen Karl und Georg, die ebenfalls im Exil überlebt hatten (Tochter Anna Lisbeth war 1937 verstorben), stellte sie im Oktober 1948 den Antrag auf Restitution der Kunstwerke, der folgenlos blieb, während die Villa zurückgestellt wurde. 1959 erzielte allerdings das Grazer Joanneum bezüglich des erwähnten Eberth-Gemäldes eine Einigung mit den ErbInnen. Um die Jahrtausendwende rückte die Sammlung Blauhorn in den Fokus der österreichischen Provenienzforschung: 2012 wurde der Verkauf zweier Gemälde Leopold Kupelwiesers sowie Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolfelds durch Hans Dechant an die Österreichische Galerie im Juni 1940 gemäß Beiratsbeschluss als nichtiges Rechtsgeschäft anerkannt. Laut Dechant hatte Blauhorn diesem die Gemälde "geschenkt" bzw. "anstelle eines Honorars übereignet". Die Restitution zweier Aquarelle Josef Kriehubers aus der Albertina erfolgte 2013. Die Blätter waren zuletzt 1939 in der Villa Blauhorn nachweisbar und 1943 bzw. 1944 von zwei Privatpersonen, Gabriele Gross und deren Mutter Luise Winter, an das "Führermuseum" bzw. direkt an die Graphische Sammlung Albertina verkauft worden. 2014 restituierte das Jüdische Museum Wien das von Jehudo Epstein angefertigte Porträt Josef Blauhorns an dessen RechtsnachfolgerInnen. Der Großteil der Sammlung Blauhorn aber gilt noch immer als verschollen.

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Publikationen zur Person / Institution

Beschluss des Kunstrückgabebeirats, Dr. Josef Blauhorn, 29.6.2012, URL: www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Blauhorn_Josef_2012-06-29.pdf (3.12.2020).
Beschluss des Kunstrückgabebeirats, Josef und Auguste Blauhorn, 3.5.2013, URL: www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Blauhorn_Auguste_Josef_2013-05-03.pdf (3.12.2020).

Karin Leitner-Ruhe/Gudrun Danzer/Monika Binder-Krieglstein (Hg.), Restitutionsbericht 1999–2010 Universalmuseum Joanneum, Graz 2010, URL: www.museum-joanneum.at/fileadmin//user_upload/Presse/Aktuelle_Projekte/Archiv/2010/praesentation-des-re/Restitutionsbericht_01.pdf (3.12.2020).

Olga Kronsteiner, Jüdisches Museum Wien restituiert Epstein-Gemälde, in: Der Standard, 18.9.2014, URL: derstandard.at/2000005747810/Juedisches-Museum-Wien-restituiert-Epstein-Gemaelde (3.12.2020).

Sophie Lillie, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens (= Bibliothek des Raubes 8), Wien 2003.

Pia Schölnberger, Emil Geyer – Ein Sammler im Verborgenen, in: Eva Blimlinger/Heinz Schödl (Hg.), Die Praxis des Sammelns. Personen und Institutionen im Fokus der Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 5), Wien-Köln-Weimar 2014, 135–160, URL: doi.org/10.7767/boehlau.9783205793564.135.

Anita Stelzl-Gallian, Der Fall Blauhorn: Das Schicksal einer Sammlung, in: Gabriele Anderl/Christoph Bazil/Eva Blimlinger/Oliver Kühschelm/Monika Mayer/Anita Stelzl-Gallian/Leonhard Weidinger (Hg.), …wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung, Wien-Köln-Weimar 2009 (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), 360–374, URL: doi.org/10.7767/boehlau.9783205118862.360.

Publikationen der Person / Institution

Josef Blauhorn, Die Naphthagesetznovelle, in: Neue Freie Presse, 16.7.1907, 21.

Archivalien

BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 31/4, PM Blauhorn.
BDA-Ausfuhr, Ausfuhransuchen Josef und Auguste Blauhorn.
BDA, Fotoarchiv, Fotoplatteninventar P.

OeStA/AdR, E-uReang, FLD, Zl. Ö-73, Josef Blauhorn.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA 7421, Gusti Blauhorn. 

WStLA, LG für Strafsachen, A11, Vr-Strafakten, Vr 1327/39, Heinrich Höfflinger, Hans Kousek, Erich Sandruschütz.
WStLA, LG für Strafsachen, A11, Vr-Strafakten, Vr 248/48, Heinrich Höfflinger, Hans Kousek, Erich Sandruschütz.