Naturhistorisches Museum Wien

Naturhistorisches Museum

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weitere Bezeichnungen: NHM, k. k. Physicalisches-Astronomisches Kunst- und Natur-Thier-Cabinet (1796–1802), Vereinigtes Naturalien-, Physicalisches- und Astronomisches Cabinet (1802–1806), Vereinigte k. k. Naturalien-Cabinete (1806–1851), k. k. Zoologisches, k. k. Botanisches und k. k. Mineralogisches Hof-Cabinet (1851–1876), k. k. Naturhistorisches Hof-Museum (1876–1918)

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Den Grundstock der Bestände des späteren Naturhistorischen Museums in Wien bildete die vermutlich 1748 von Kaiser Franz I. Stephan (1708–1765) erworbene Naturaliensammlung des Florentiner Gelehrten Jean de Baillou (1684–1758). Maria Theresia (1717–1780) übertrug 1765 die Hofsammlung ins Eigentum des Staates und machte sie damit für die Öffentlichkeit zugänglich. Neben umfangreichen Ankäufen und Schenkungen wuchs die zunächst in der Wiener Hofburg untergebrachte Naturaliensammlung in der Folge auch aufgrund wissenschaftlicher Forschungs- und Sammelreisen inner- und außerhalb Europas sukzessive an. Die kontinuierliche Vergrößerung der Bestände machte die Erweiterung der Depots in der Hofburg sowie die Verlagerung vieler Sammlungsobjekte in Dependancen (Harrach'sches Haus in der Johannesgasse, das Augarten-Palais, die Geologische Reichsanstalt im Palais Rasumofsky, das Untere Belvedere) notwendig. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die Bestände durch mehrere Expeditionen, allen voran die österreichische Brasilienexpedition 1817–1835 sowie die Weltumsegelung der Fregatte Novara 1857–1859, beträchtlich erweitert. Zunehmender Platzbedarf in der Hofburg war die Folge. Als Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916) die Schleifung der Wiener Stadtmauer und den Bau der Ringstraße 1857 veranlasste, kam es daher auch zur Neuplanung eines Naturkundemuseums. 1871 begann der Bau des Naturhistorischen Museums, 1881 war die Außen-, 1884 die Innengestaltung des Gebäudes abgeschlossen; im August 1889 eröffnete Kaiser Franz Joseph schließlich das k. k. Naturhistorische Hof-Museum. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges konnten die Arbeiten im Museum wie auch Sammlungsreisen nur noch eingeschränkt durchgeführt werden. Nach dem Ende der Monarchie unterstand das Museum dem Staatsamt für Unterricht, ab 1919 ersetzte ein Museumskollegium die seit 1876 übliche Funktion des Intendanten (Museumsdirektor). An die Stelle des Kollegiums trat 1925 der Erste Direktor. Wegen Platzmangels wurde 1927 die Ethnographische Abteilung aus dem Naturhistorischen Museum ausgegliedert und deren Sammlung in die Neue Burg überstellt, woraus das 1928 eröffnete Museum für Völkerkunde (heute Weltmuseum) hervorging.

Die Rekonstruktion der Geschichte des Naturhistorischen Museums während der NS-Zeit gestaltet sich u. a. mangels umfassender zeithistorischer Publikationen zum Haus sowie aufgrund der lückenhaften Quellenlage schwierig. So wurden unmittelbar vor und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Akten und Inventare skartiert bzw. vernichtet. Während in der Literatur oftmals 1934 als Gründungsjahr der illegalen Betriebszelle der NSDAP im Museum angegeben wird, soll diese Zelle laut den Angaben von Wolfgang Adensamer (1899–1964), dem damaligen Leiter der Molluskensammlung in der Zoologischen Abteilung, bereits 1932 bestanden haben. Nach dem "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich wurde der Mineraloge Hermann Michel (1888–1965) auf Betreiben der Landeskulturleitung der NSDAP als Museumsdirektor durch den Crustaceenspezialist Otto Pesta (1885–1974) ersetzt, blieb jedoch Direktor der Mineralogisch-Petrographischen Abteilung. Auf Pesta, seit 1937 Mitglied der NSDAP, folgte im Juni 1939 der deutsche Ornithologe Hans Kummerlöwe. Kummerlöwe, in mehreren politischen Beurteilungen der NSDAP als fanatischer Nationalsozialist beschrieben, war bereits seit 1925 Parteimitglied und Träger des goldenen Ehrenzeichens der NSDAP. Neben dem Naturhistorischen Museum unterstanden ihm als Ersten Direktor der Wissenschaftlichen Museen in Wien nunmehr auch das Museum für Völkerkunde, das Volkskundemuseum sowie das Technische Museum Wien. In Bezug auf das Naturhistorische Museum hatte der "Anschluss" nicht nur politisch motivierte Um- und Neubesetzungen, sondern darüber hinaus auch eine ideologisch gelenkte Forschungs- und Ausstellungspolitik zur Folge. Dies lässt sich insbesondere am Beispiel der Anthropologischen Abteilung nachvollziehen, die im Kontext der nationalsozialistischen "Rassenpolitik" gleichermaßen eine starke Aufwertung wie Instrumentalisierung erfuhr. In der NS-Zeit beteiligte sich diese Abteilung an antisemitischen sowie rassistischen Ausstellungen, führte umfangreiche Akquisitionen durch und nahm Vermessungen an Kriegsgefangenen sowie an als Jüdinnen und Juden klassifizierten Personen vor. Die im Mai 1939 eröffnete Sonderausstellung Das körperliche und seelische Erscheinungsbild der Juden bereitete antisemitische Stereotype pseudowissenschaftlich auf und bestärkte diese. Sie präsentierte u. a. Judaica aus den 1938 beschlagnahmten Beständen des Jüdischen Museums in Wien. Zwischen 1939 und 1943 führte die Anthropologische Abteilung Ausgrabungen von Skeletten auf dem jüdischen Friedhof in Währing durch und kaufte Schädel und Totenmasken polnischer Widerstandskämpfer sowie jüdischer Gefangener des Konzentrationslagers Posen. Josef Wastl, seit 1938 Leiter bzw. seit 1941 Direktor der Abteilung, erstellte außerdem von 1941 bis 1945 "erb- und rassenkundliche" Gutachten zur Frage, ob bestimmte Personen im Sinne der Nürnberger Gesetze als Jüdinnen bzw. Juden oder als "jüdische Mischlinge" galten. Infolge des Zweiten Weltkrieges rückten zahlreiche Mitarbeiter des Museums zum Dienst in der Deutschen Wehrmacht ein; einige Wissenschaftler führten ihre Forschungen im Rahmen von Expeditionen der Wehrmacht an Kriegsschauplätzen durch. Während des Krieges gelangten dadurch viele naturkundliche Objekte aus den besetzten Gebieten in das Naturhistorische Museum. Der Zoologe Otto Wettstein (1892–1967) war 1942 Mitglied einer Forschungstruppe auf Kreta; einige der dort zusammengetragenen Objekte kamen erst im Laufe der Nachkriegszeit ins Museum. Besonders bekannt ist die Sammeltätigkeit des Ornithologen Günther Niethammer (1908–1974), der von seinem Freund und früheren Studienkollegen Kummerlöwe 1940 von Bonn nach Wien berufen worden war. Niethammer, seit 1937 NSDAP-Mitglied und seit 1940 Mitglied der Waffen-SS, gehörte mehr als ein Jahr lang der Wachmannschaft im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an und brachte aus der Umgebung von Auschwitz insgesamt 74 Objekte für die Vogelsammlung und 19 Objekte für die Säugetiersammlung des Museums mit. Da während des Zweiten Weltkrieges die Sicherheit der Sammlungen und Bibliotheken gewährleistet werden musste, kam es bereits 1939 zur Verlagerung der Alkoholpräparate sowie der Meteoriten- und der Edelsteinsammlung in die Kellerräume des Museums. Des Weiteren wurde ein permanenter Luftschutzdienst eingerichtet. Der regelmäßige Museumsbetrieb blieb bis 1942 aufrecht. Im August 1942 begann der Abtransport der Sammlungen an externe Bergungsorte, später sollte auch die Verlagerung der Bibliotheken erfolgen. Als Bergungsbevollmächtigter des Hauses fungierte Hermann Michel. Die Bestände wurden in bombensicheren Kellern in Wien sowie an unterschiedlichen Orten am Stadtrand bzw. außerhalb Wiens (u. a. Schloss Laudon, Stift Klosterneuburg, Schloss Schönborn in Mallebarn, Schloss Kirchstetten bei Staatz, Tullnerbach-Lawis, Salzbergwerk Lauffen bei Bad Ischl) untergebracht. Abgesehen von mehreren Artillerietreffern während der Kampfhandlungen im April 1945 fielen die Schäden am Museumsgebäude relativ gering aus. Einzelne, extern verlagerte Sammlungen des Hauses hatten weitaus größere Verluste zu verzeichnen. So zerstörte beispielsweise ein Brand in dem als Bergungsort genutzten Schloss in Ober-Höflein bei Retz Ende Mai 1945 etwa ein Sechstel des Bestands der Botanischen Abteilung. Sammlungen anderer Abteilungen wurden wiederum infolge ungünstiger Lagerungsbedingungen an den Bergungsorten z. T. stark beschädigt. Die im Herbst 1945 begonnene Rückbergung sämtlicher Bestände des Naturhistorischen Museums konnte 1947 abgeschlossen werden.

Nach Kriegsende wies eine Sonderkommission zur Entnazifizierung bei 59 von insgesamt 114 MitarbeiterInnen des Museums eine aktive nationalsozialistische Betätigung nach. 1946 hatten schließlich 35 MitarbeiterInnen ihren Dienst im Museum aufgrund ihrer früheren nationalsozialistischen Aktivitäten zu quittieren. Von 1945 bis 1951 bekleidete wieder Hermann Michel das Amt des Ersten Direktors. Die Rückgabe des Ausstellungsmaterials der Sonderschau Das körperliche und seelische Erscheinungsbild der Juden sowie der menschlichen Überreste aus Gräbern des jüdischen Friedhofs in Währing an die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien erfolgte in den ersten Nachkriegsjahren. In den 1990er-Jahren kam es außerdem zur Rückstellung der Schädel und Totenmasken an die IKG. Zwei Totenmasken, die 1997 im Zuge weiterer Nachforschungen in der Anthropologischen Abteilung gefunden worden waren, verblieben auf Wunsch des Jüdischen Museums Wien als Zeitdokument im Naturhistorischen Museum. Seit der Verabschiedung des Kunstrückgabegesetzes 1998 wird im Naturhistorischen Museum systematische Provenienzforschung betrieben, seit 2017 erstmals von einem Team. Die von den ProvenienzforscherInnen bislang erstellten Dossiers behandeln mehr als 1.400 Objekte und betreffen neben Büchern, Möbeln und Kunstgegenständen hauptsächlich Sammlungsstücke aus den Bereichen Botanik, Geologie, Mineralogie, Paläontologie sowie Zoologie. Der Kunstrückgabebeirat sprach Empfehlungen zu folgenden Sammlungen aus: Martin F. Glaessner (2006), Walter Hersch (2009), Fritz Illner (2019), Heinrich Klang (2019), Hans Peter Kraus (2018), Ernst Moriz Kronfeld (2011), Robert und Margarete Piowaty-Lang (2006), Georg Rosenberg (2006), Moritz Rothberger (2003), Firma Roubicek & Purm (2007), Missionshaus St. Gabriel (2007), Martha Schlesinger (2006), Robert Wadler (2005), Gertrude und Max Zarfl (2009). Für knapp 600 Objekte empfahl der Kunstrückgabebeirat die Restitution an ihre rechtmäßigen EigentümerInnen bzw. deren RechtsnachfolgerInnen.

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Publikationen zur Person / Institution

Margit Berner, Die museale Präsentation der Anthropologie im Naturhistorischen Museum in Wien 1930–1950, in: Tanja Baensch/Kristina Kratz-Kessemeier/Dorothee Wimmer (Hg.), Museen im Nationalsozialismus: Akteure – Orte – Politik, Köln-Weimar-Wien 2016, 177–189.

Margit Berner/Maria Teschler-Nicola, Die Anthropologische Abteilung des Naturhistorischen Museums in der NS-Zeit. Berichte und Dokumentation von Forschungs- und Sammlungsaktivitäten 1938–1945, in: Akademischer Senat der Universität Wien (Hg.), Senatsprojekt der Universität Wien. Untersuchungen zur Anatomischen Wissenschaft in Wien 1938–1945, Wien 1998, 333–358, URL: www.nhm-wien.ac.at/jart/prj3/nhm-resp/data/uploads/mitarbeiter_dokumente/berner/Senatsber.pdf (3.12.2020).

Alexandra Caruso/Katja Geiger/Dario Luger/Marcus Rößner, "Eine naturwissenschaftliche Sammlung verhält sich eben ganz anders, als ein Kunstmuseum …" Provenienzforschung im Naturhistorischen Museum Wien, in: Eva Blimlinger/Heinz Schödl (Hg.), … (k)ein Ende in Sicht. 20 Jahre Kunstrückgabegesetz in Österreich (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 8), Wien-Köln-Weimar 2018, 123–131, URL: doi.org/10.7767/9783205201274.123.

Günther Hamann, Das Naturhistorische Museum in Wien – Geschichtliche Grundlagen seiner Entstehung, in: Naturhistorisches Museum Wien (Hg.), Das Naturhistorische Museum in Wien, Salzburg-Wien 1979, 11–27.

Stefanie Jovanović-Kruspel, Das Naturhistorische Museum – Baugeschichte, Konzeption & Architektur, Wien 2014.

Stefanie Kruspel, Das Naturhistorische Museum Wien als Gesamtkunstwerk. Ein kunst- und kulturhistorischer Rundgang durch das Haus, Wien 2000. 

Hermann Michel/Karl Holdaus/Robert Routil/Franz Petrak/Karl Krenn/Friedrich Trauth/Othmar Kühn, Das Naturhistorische Museum im Kriege, in: Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien 56 (1948), 1–17.

Bernhard Purin (Hg.), Beschlagnahmt. Die Sammlungen des Wiener Jüdischen Museums nach 1938, Wien 1995.

Christa Riedl-Dorn, Das Haus der Wunder. Zur Geschichte des Naturhistorischen Museums in Wien, Wien 1998.

Christa Riedl-Dorn, Von Leermeldungen zu achtzehn Dossiers – Zehn Jahre Provenienzforschung am Naturhistorischen Museum, in: Gabriele Anderl/Christoph Bazil/Eva Blimlinger/Oliver Kühschelm/Monika Mayer/Anita Stelzl-Gallian/Leonhard Weidinger (Hg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien-Köln-Weimar 2009, 176–194, URL: doi.org/10.7767/boehlau.9783205118862.176.

Tina Walzer, Der jüdische Friedhof Währing in Wien. Historische Entwicklung, Zerstörungen der NS-Zeit, Status quo, Wien-Köln-Weimar 2011.

Archivalien

NHM, Archiv für Wissenschaftsgeschichte, Generaldirektionsakten.

OeStA/AdR, BMfUuK, K. 169, Sign. 15 B2 a/b (Naturhistorisches Museum 1940–1960).
OeStA/AdR, BMfUuK, K. 170, Sign. 15 B1 (Naturhistorisches Museum 1940–1945).
OeStA/AdR, BMfUuK, K. 171, Sign. 15 B1 (Naturhistorisches Museum 1946–1952).
OeStA/AdR, UWK, BMU, Personalakten, Sign. 3, Wolfgang Adensamer.
OeStA/AdR, ZNsZ, Gauakt 159065, Hans Kummerlöwe.
OeStA/AVA, Unterricht-Allg., K. 3616/U2 (Fasz. 3211).