Hermann Voss studierte in Heidelberg Kunstgeschichte, Musikgeschichte und Geschichte. Seiner Promotion 1906 folgte ein Aufenthalt in Italien, 1908 begann er als Volontär an den Königlich Preußischen Kunstsammlungen zu Berlin bei Wilhelm Bode. 1912 wurde er Leiter der Graphischen Sammlung am Museum der bildenden Künste Leipzig, 1922 Kustos der Gemäldegalerie an den Staatlichen Museen in Berlin und ab 1935 fungierte er als Direktor der Städtischen Kunstsammlung am Landesmuseum Wiesbaden. Im Rahmen der Beschlagnahmeaktion "Entartete Kunst" 1937 erwies sich Voss als Opportunist, der versuchte durch Tauschgeschäfte oder Kompensationen die Situation zu Gunsten des Wiesbadener Museum zu nutzen. Spätestens ab 1937 näherte er sich dem NS-Apparat an, hielt Vorträge vor SA-Führern und war nach Kriegsbeginn als Kunstexperte im besetzten Frankreich sowie als Gutachter für das Wiesbadener Polizeipräsidium tätig, war aber selbst kein NSDAP-Mitglied. Seine Ernennung zum Nachfolger des im Dezember 1942 verstorbenen Hans Posse erschien überraschend und dürfte auf eine Entscheidung von Posse selbst zurückzuführen sein. Ausgerechnet nach der Niederlage der Deutschen Wehrmacht in Stalingrad im Februar 1943 wurde Voss mit der Weiterführung des kulturpolitischen Prestigeprojekts "Sonderauftrag Linz" betraut. Anders als zuvor Posse stand Voss nur den Sammlungsbereichen Malerei, Grafik und Bildhauerei vor. Für die Numismatische Sammlung, die Waffensammlung sowie die Bibliothek wurden die bereits bisher dafür zuständigen Fritz Dworschak, Friedrich Wolffhardt und Leopold Ruprecht (alle Wien) als eigenständige Leiter beauftragt. Andere Agenden, insbesondere die wichtige Koordinationstätigkeit von Bergungen und Depots, blieben unter der Ägide von Gottfried Reimer, dem Referenten des "Sonderauftrags Linz", der diesen nach Posses Tod interimistisch geleitet hatte. Voss' Tätigkeitsfeld beschränkte sich somit auf die Koordination weiterer Erwerbungen. Er stützte sich dabei auf ein breites Netz von KunsthändlerInnen und Agenten sowohl innerhalb des Deutschen Reiches wie auch in den besetzten Gebieten. Anders als sein Vorgänger Posse unternahm Voss insgesamt nur drei Reisen und das Gros der erworbenen Kunstwerke hatte er nicht persönlich besichtigt. Er tätigte dennoch umfangreiche Erwerbungen: Nach eigener Angabe wurden so in der Zeit zwischen seinem Amtsantritt im April 1943 und März 1944 fast 900 Gemälde, mehrere hundert Grafiken sowie auch einzelne Plastiken und kunstgewerbliche Gegenstände angekauft. Wegen der daraus resultierenden enormen Ausgaben kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem für die Finanzen zuständigen Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers. Im Sommer 1944 – die Alliierten waren bereits in der Normandie gelandet – wies Lammers Reichsleiter Martin Bormann darauf hin, dass sich die monatlichen Ausgaben des "Sonderauftrags Linz" mittlerweile bei sechs Millionen Reichsmark bewegten. Ungeachtet dessen forderte Voss fortwährend die Auffüllung seiner Devisen-Sonderkonten und provozierte die Reichskanzlei damit zusehends. Wie Lammers beklagte, signalisierte Adolf Hitler aber keine Bereitschaft einer Begrenzung der Mittel zuzustimmen. Die speziell im Vergleich zur Tätigkeitszeit von Hans Posse exorbitant gestiegenen Kosten könnten damit erklärt werden, dass Voss hauptsächlich Kunsthandelserwerbungen tätigte, während in der Anfangsphase des "Sonderauftrags Linz" die direkte Übernahme von Objekten aus enteigneten Sammlungen, speziell jener aus dem Zentraldepot für beschlagnahmte Sammlungen in Wien, dominierte. Widerlegt werden konnte allerdings Voss' Behauptung, die er nach Kriegsende in den Verhören mit der amerikanischen Kunstschutzeinheit aufstellte, in seiner Tätigkeit als Sonderbeauftragter nicht in das System nationalsozialistischer Kunstenteignung involviert gewesen zu sein. So übernahm er als Sonderbeauftragter unmittelbar Objekte aus beschlagnahmten Sammlungen, wie beispielsweise aus jener von Adolphe Schloss in Frankreich. Zudem bezog der Sonderauftrag auch unter Voss zahlreiche Objekte direkt von der Vugesta. Weiters stammten zahlreiche der bei HändlerInnen und AgentInnen erworbenen Objekte aus Zwangsverkäufen oder Enteignungen. Dennoch präsentierte sich Voss nach der Niederlage des Deutschen Reichs den Alliierten als politisch Unschuldiger, dem es in seiner Tätigkeit als Sonderbeauftragter um die Rettung von Kunstschätzen gegangen wäre. Seine Strategie sollte durchaus erfolgreich sein: Weder wurde er von den Alliierten, von deren Art Looting Investigation Unit er im Sommer 1945 in Altaussee verhört worden war, noch später von den deutschen Behörden im Zuge eines Entnazifizierungsverfahren zur Verantwortung gezogen. 1947 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel "Deutsche Selbstkritik", dessen Anliegen es war, wie es Voss' Biografin Kathrin Iselt formulierte, "seine Gesinnung als Antifaschist und Kosmopolit breitenwirksam zu manifestieren, ohne aber seine eigene Rolle und Position im Nationalsozialismus beleuchten zu müssen". Voss, der sich 1945 in München angesiedelt hatte, veröffentlichte bis zu seinem Tod noch zahlreiche kunsthistorische Aufsätze und Besprechungen, vorwiegend zum Forschungsschwerpunkt der italienischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts. Er blieb als Kunsthistoriker und Gutachter weithin anerkannt, bis 1968 gehörte er der Ankaufskommission der Bayerischen Staatsgemäldesammlung an. Voss besaß eine private Kunstsammlung, deren größter Teil 1946 in Dresden von der deutschen Polizei sichergestellt worden war und deren Spur sich nach mehreren Verlagerungen Ende der 1940er-Jahre verliert. Sowohl Herkunft als auch Verbleib der Gemälde und Grafiken sind bis dato unbekannt.
Hermann Voss
Publikationen zur Person / Institution
Kathrin Iselt, "Sonderbeauftragter des Führers". Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss (1884–1969), Köln-Weimar-Wien 2010.
Archivalien
NARA, Ardelia Hall Collection, S. Lane Faison, Detailed Interrogation Report No. 12: Subject Hermann Voss, 15.9.1945, URL: www.fold3.com/document/270423939/ (3.12.2020).
NARA, Ardelia Hall Collection, S. Lane Fasion, Consolidated Interrogation Report No. 4: Linz Museum, 15.12.1945, URL: www.fold3.com/document/283755693/ (3.12.2020).
BArch Koblenz, Bestand B 323 (Treuhandverwaltung für Kulturgut).