Bis zum "Anschluss" im März 1938 existierte in Wien eine facettenreiche und dezentrale medizinische Bibliothekslandschaft, die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Zweite Medizinische Schule) parallel zur rasant verlaufenden wissenschaftlichen Entwicklung der einzelnen medizinischen Wissenschaftsdisziplinen herausgebildet hatte. Diese Bibliotheken bestanden an den Wiener Krankenanstalten sowie als Klinik- und Institutsbibliotheken an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien und im Allgemeinen Krankenhaus. Weitere waren zudem an außeruniversitären Forschungs-, Standes- und Interessensorganisationen, die sich zumeist als Vereine konstituiert hatten, entstanden. Die Medizinische Fakultät Wien wurde nach dem "Anschluss" von massiven Veränderungen erfasst, die sich vor allem in einer exorbitanten Entlassungs- und Vertreibungswelle von wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und Studierenden niederschlugen. Diese personellen Brüche hatten schwerwiegende Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Bibliotheken. Jahrzehntelange kontinuierliche Bibliotheksarbeit fand im März 1938 abrupt ihr Ende. Bestehende Forschungsnetzwerke wurden vollständig zerschlagen. In diesem Kontext kam es zur Schließung traditionsreicher Bibliotheken, wie jener des Ärztlichen Lesezimmers des Allgemeinen Krankenhauses Wien im Oktober 1939, die bis dahin zu den größten Spitalsbibliotheken Wiens gezählt hatte. Gravierende Auswirkungen hatten die Umgestaltungs- und Neuordnungspläne des NS-Regimes auf Bibliotheken außeruniversitärer Einrichtungen. In Wien existierten vor dem "Anschluss" über 60 medizinisch-ärztliche Vereine, Forschungs- Standes- und Interessensvertretungen, die nunmehr im Sinn des NS-Machtapparates gleichgeschaltet oder liquidiert und deren Vermögenswerte an NS-Nachfolgeinstitutionen übertragen oder entzogen wurden. Teile mancher dieser Bibliotheksbestände kamen in den folgenden Jahren auch in den Antiquariatshandel. Davon betroffen war u. a. die Bibliothek des Doctoren-Kollegiums, die 1939 der Reichsärztekammer Wien überstellt und erst 1970 der Bibliothek des Institutes für Geschichte der Medizin übergeben wurde. Die ersten Betroffenen der Liquidationen medizinischer Bibliotheken waren jene jüdischer Vereine – wie beispielsweise die des Akademischen Vereins jüdischer Mediziner – ein Zweigverein der Medizinischen Sektion des Gesamtverbandes jüdischer Hochschüler Judäa. Bis zum Ende des Jahres 1939 war in Wien die medizinische Vereinslandschaft nahezu vollständig ausgelöscht.
Erst ab den 1970er-Jahren fanden wesentliche organisatorische Veränderungen hinsichtlich der Planung einer Bestandsentwicklung im Bereich der medizinischen Bibliotheken statt, die bis heute Folgewirkung zeitigen. Mit dem Universitäts-Organisationsgesetz im Jahr 1975 wurden zunächst sämtliche Klinik- und Institutsbibliotheken der Universitätsbibliothek Wien unterstellt. 1986 erfolgte die Errichtung der Fakultätsbibliothek für Medizin an der Universität Wien, danach die Eingliederung sämtlicher Bibliotheksbestände der dezentralen Kliniken und medizinischen Institute. Nach der Inbetriebnahme der Fakultätsbibliothek an der Universität Wien im Jahr 1989 am neuen Hauptstandort im Neuen Allgemeinen Krankenhaus (Universitätskliniken) kam es bis 1994 – dem Jahr der Errichtung der Österreichischen Zentralbibliothek für Medizin – zur Zusammenführung der bis dahin selbständigen Klinik- und Institutsbibliotheken. Damit begann auch die Transferierung der historischen Bestände an die heutige Universitätsbibliothek bzw. Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin. Darunter befanden sich die sogenannte Obersteiner-Bibliothek, sowie die in den 1960er-Jahren, 1976 und 2003 als Dauerleihgabe in mehreren Tranchen übernommenen historischen Bestände der Bibliothek der Gesellschaft der Ärzte in Wien. Durch weitere übernommene Spezialsammlungen wurde ein großer Teil der medizinhistorischen Bestände an einem zentralen Ort zusammengeführt. Damit etablierte sich an diesem Standort eine Spezialbibliothek, die heute mit ihrem heterogenen, nicht systematisch gewachsenen Bestand die inoffizielle Archivbibliothek für medizinhistorische Literatur in Österreich repräsentiert. Mit der Herauslösung der vormaligen Medizinischen Fakultät aus der Universität Wien und ihrer Etablierung als eigenständige Medizinische Universität Wien im Jahr 2004 kam es zur Zuordnung der ehemaligen Österreichischen Zentralbibliothek für Medizin an die neue Universität als Universitätsbibliothek. Ihr Gesamtbestand umfasst heute zirka 780.000 Monografien und Zeitschriftenbände und ist damit die größte medizinische Fachbibliothek in Österreich.
Die seit Jänner 2007 an der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien betriebene NS-Provenienzforschung hat die vielfältigen Brüche der Entwicklungs- und Überlieferungsgeschichte der einzelnen Bibliotheks- und Sammlungstraditionen zu berücksichtigen. Zu nennen sind in diesem Kontext vor allem die häufig – bis auf den Bestand des ehemaligen Institutes für Geschichte der Medizin und der Bibliothek der Gesellschaft der Ärzte in Wien – fehlenden Inventarbücher und die lückenhaften bis völlig fehlenden schriftlichen Überlieferungen zu den Bibliotheksverwaltungen und deren Erwerbungspolitik. Für die 2004 in die Autonomie entlassenen Universitäten bestand keine gesetzliche Verpflichtung zur Erforschung ihrer Bibliotheksbestände entsprechend dem Kunstrückgabegesetz 1998 (Novelle 2009). Trotzdem fand die NS-Provenienzforschung die volle Unterstützung des Rektorates der Medizinischen Universität Wien und wird in deren Bibliotheksbeständen durchgeführt. Von den erfolgten Rückgabeempfehlungen konnten folgende Restitutionen an RechtsnachfolgerInnen ausgesprochen und durchgeführt werden: Alfred Arnstein (2012), Stefan Auspitz (2018), Bibliothek Sassenbach (2011), Raoul Fernand Jellinek-Mercedes (2012), Hans Peter Kraus (2014), Carl Julius Rothberger (2010), Philip Suschitzky und Adele Suschitzky (2014). Zu drei weiteren Dossiers – Alois Fantl, Richard Löwi, Maximilian Weinberger – liegen Rückgabe-Empfehlungen vor. Die Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien wird weitergeführt.