Landesleitung der Reichskammer der bildenden Künste beim Landeskulturwalter, Gau Wien

Landesleitung der Reichskammer der bildenden Künste beim Landeskulturwalter, Gau Wien

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1933 etablierte die Regierung des nationalsozialistischen Deutschen Reiches auf Betreiben des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, die Reichskulturkammer (RKK) mit Sitz in Berlin als Körperschaft öffentlichen Rechts. Sie diente fortan als Instrument der NS-Kulturpolitik zur Organisation, Überwachung und Gleichschaltung aller Bereiche des Kulturlebens und aller "Kulturschaffenden". Die Mitgliedschaft war die Voraussetzung für die Berufsausübung. Die Reichskulturkammer war durch ihren Präsidenten Joseph Goebbels auch personell auf das Engste mit dem Propagandaministerium verflochten. Es gab anfangs sieben, später nur noch sechs Einzelkammern: die Reichsschrifttumskammer, die Reichsfilmkammer, die Reichsmusikkammer, die Reichstheaterkammer, die Reichspressekammer, die Reichsrundfunkkammer (1939 aufgelöst) und die Reichskammer der bildenden Künste. Kunst sollte nach nationalsozialistischen Vorstellungen"gesund" und "artgemäß" sein, "Blut und Boden" lautete eine zentrale Losung.

Nach dem "Anschluss" erfolgte auch im nationalsozialistischen Österreich die Etablierung von Landesleitungen der verschiedenen Kammern. Am 28. März 1938 ernannte die Behörde des Stillhaltekommissars für Vereine, Organisationen und Verbände Leopold Blauensteiner, den Präsidenten des Künstlerhauses, zum treuhändischen bzw. kommissarischen Leiter bzw. Beauftragten aller Institutionen für bildende Kunst. Blauensteiner übernahm damit nicht nur die Kontrolle über die bildenden KünstlerInnen, sondern auch über den heimischen Kunst- und Antiquitätenhandel. Mit der Bekanntgabe der Verordnung über die Einführung der Reichskulturkammergesetzgebung im Lande Österreich vom 11. Juni 1938 durch den Reichsstatthalter am 24. Juni 1938 traten die im damaligen "Altreich" geltenden gesetzlichen Vorschriften für den Kulturbereich auch in Österreich unmittelbar in Kraft. Die Basis für alle weiteren Gesetze und Verordnungen war das Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 gewesen. Im "Land Österreich" hatten nun alle Personen, die weiterhin in den verschiedenen Bereichen des Kulturlebens tätig sein wollten, bis zum 30. Juni 1938 ihre Anmeldung in die entsprechende Kammer vorzunehmen. Ein "Ariernachweis" war die Voraussetzung für die Aufnahme: "Deutsches Kulturgut ist Sache der Deutschen. Juden haben dabei nichts verloren", lautete ein Kommentar im "Völkischen Beobachter".

In der Landesleitung der Reichskammer der bildenden Künste in Wien fungierte der Architekt und Maler Marcel Kammerer als stellvertretender Geschäftsführer. Blauensteiner berief 14 Referenten, ausschließlich Männer, als Zuständige für die einzelnen Fachbereiche: Robert Oerley für Architektur, Igo Pötsch für Malerei, Ferdinand Opitz für Bildhauerei, Ernst Ludwig Franke für Gebrauchsgraphik, Hans Sanders für Kunsthandwerk, Otto Gälzer für Landschafts- und Gartengestaltung, Oswald Grill für Vereine, Emil Böckl für Siegespreise und Ehrengaben, Leopold Ruprecht für Museen und Sammlungen, August Eymer für den Kunsthandel, Konrad Thomas für den Antiquitätenhandel, Gilbert Schiviz für Kunstversteigerungen, Alfons Riedel für Grabmal und Friedhof sowie Robert Eigenberger für Kunsterziehung und Kunstschulen. Auch Ausstellungen mussten von der Landesleitung der Reichskammer der bildenden Künste bewilligt werden. Diese hatte zudem bei der Enteignung von Kunst- und Antiquitätenhandlungen in jüdischem Eigentum ein gewichtiges Wort mitzureden, sie war allerdings im Unterschied zu Deutschland nicht die allein zuständige Instanz. Vielmehr traf im Wesentlichen die Vermögensverkehrsstelle im österreichischen Ministerium für Wirtschaft und Arbeit die Entscheidungen über die "Arisierung" oder Liquidierung von Betrieben, wodurch es mitunter zu Differenzen zwischen den beiden Stellen kam. Ab Juli 1939 wurde Blauensteiner offiziell als Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste für den Gau Wien bezeichnet. Die Landesleitung hatte anfangs im Künstlerhaus in Wien 1, Karlsplatz 5, ihren Sitz, ab 1939 in einem der jüdischen Familie Pick entzogenen Gebäude in Wien 3, Reisnerstraße 40. 1943 kam es zur Verlegung der Landesleitung der Reichskammer nach Wien 1, Trattnerhof 1, im Jänner 1945 zur Rückkehr in das Künstlerhaus.

Aus dem Zentralverband bildender Künstler Österreichs, der 1938 zwangsweise in die Reichskammer eingegliedert und in Wirtschaftsgenossenschaft bildender Künstler umbenannt worden war, ging im Mai 1945 als Nachfolgeorganisation die Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs mit Sitz im Künstlerhaus hervor. 1950 übergab die Stadt Wien die noch erhaltenen Aktenbestände der Landesleitung der Reichskammer an diese Vereinigung. Wie aus einem Aktenvermerk hervorgeht, waren die Personalakten im November 1945 aus "staatspolizeilichem Interesse sichergestellt" worden. Der Verbleib von Teilen des Materials, vor allem den Kunsthandel betreffend, ist ungeklärt. Das Archiv der Berufsvereinigung, das sich im Schloss Schönbrunn befindet, verwahrt Personalakten und Schriftverkehr von bildenden Künstlerinnen und Künstlern mit Wohnsitz in Wien oder Niederösterreich, die Mitglieder der Reichskammer gewesen waren oder sich um die Mitgliedschaft beworben hatten.

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Publikationen zur Person / Institution

Angelika Enderlein, Der Berliner Kunsthandel in der Weimarer Republik und im NS-Staat, Berlin 2006.

Anja Heuss, Die Reichskulturkammer und die Steuerung des Kunsthandels im Dritten Reich, in: sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels (1998) 3, 49–61.

Hans Hinkel, Handbuch der Reichskulturkammer, Berlin 1937.

Ingrid Holzschuh/Sabine Plakolm-Forsthuber, Auf Linie. NS-Kunstpolitik in Wien. Die Reichskammer der bildenden Künste, Katalog zu einer Ausstellung des Wien Museums, Wien 2021.

N. N. [Dr. K.], Eingliederung bis zum 30. Juni 1938: Reichs-Kulturkammergesetze in Österreich eingeführt, in: Völkischer Beobachter, 16. Juni 1938, 5, URL: www.anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=vob&datum=19380616&seite=5&zoom=33&query="Reichskulturkammergesetz"&ref=anno-search (20.6.2022).

Nina Kubowitsch, Die Reichskammer der bildenden Künste. Grenzsetzungen in der künstlerischen Freiheit, in: Wolfgang Ruppert (Hg.), Künstler im Nationalsozialismus, Köln-Wien 2016, 75–96.

Monika Mayer, Freiwillige Verschmelzung. Künstlervereinigungen in Wien 1933–1945, in: Jan Tabor (Hg.), Kunst und Diktatur, Bd. 1, 288–293.

Hans Schmidt-Leonhardt, Die Reichskulturkammer, Berlin, Wien 1936.

Jan Tabor (Hg.), Kunst und Diktatur. Architektur, Bildhauerei und Malerei in Österreich, Deutschland, Italien und der Sowjetunion 1922–1956. Katalog zu einer Ausstellung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung im Künstlerhaus Wien, 2 Bände, Baden (b. Wien) 1994.

Gesetze und Verordnungen (chronologisch):

Reichskulturkammergesetz, RGBl. I 1933, 661f., 22.9.1933, URL: alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=19330004&seite=00000661 (19.4.2023).

Erste Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes, RGBl. I 1933, 797 ff., 1.11.1933, URL: alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=19330004&seite=00000797 (19.4.2023).

Verordnung über die Einführung der Reichskulturkammergesetzgebung im Lande Österreich, RGBl. I 1938, 624 f., URL: alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=19380004&seite=00000624 (19.4.2023).

Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich, wodurch die Verordnung über die Einführung der Reichskulturkammergesetzgebung im Lande Österreich vom 11. Juni 1938 bekanntgemacht wird, GBlÖ. Nr. 191/1938, 24.6.1938, URL: alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=glo&datum=19380004&seite=00000555 (19.4.2023).

Archivalien

Archiv der Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs im Schloss Schönbrunn, Wien, Landesverband Wien/Niederösterreich/Burgenland, Akten der ehemaligen Landesleitung der Reichskammer der bildenden Künste.