Wilde, Johannes

Johannes Wilde

Porträt, Zeichnung
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2.6.1891 Budapest – 13.9.1970 Dulwich, Großbritannien

auch Janós Wilde

Janós Wilde studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie in Budapest und Wien, wo er 1918 bei Max Dvořák und Josef Strzygowski über Die Anfänge der italienischen Radierung promovierte. Er kehrte nach Budapest zurück und beteiligte sich in der kurzen Zeit der ungarischen Sowjetrepublik von Béla Kun im Jahr 1919 an der Beschlagnahmung von Kunstwerken in Privatbesitz "von nationaler Bedeutung". Zwar war er bis 1922 Assistent in der Abteilung für Druckgrafik und Zeichnungen des Museums der Schönen Künste, jedoch hatte er im September 1920 einen sechsmonatigen Studienurlaub gewährt bekommen, um Max Dvořáks Einladung zu einer Vorlesung an der Wiener Universität annehmen zu können. Als Dvořák im Februar 1921 starb, blieb Wilde in Wien, um gemeinsam mit Karl Maria Swoboda, dem Assistenten Dvořáks, die Herausgabe seiner gesammelten Werke vorzubereiten. Im Juni 1923 begann Wilde in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums (KHM) zu arbeiten, zunächst als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter, später als Kustos zweiter Klasse. Sein Schwerpunkt war die Italienische Renaissance. Um 1928 setzte Wilde Röntgenstrahlen als systematisches Hilfsmittel in der Gemälderestaurierung ein und galt in diesem Bereich als Pionier. An der Röntgentechnischen Versuchsanstalt forschte er an neuen Bildanalysemöglichkeiten und schließlich richtete er gemeinsam mit seinem Kollegen Sebastian Isepp 1930 ein eigenes Institut im KHM ein. 1930 heiratete Wilde in der Votivkirche die ebenfalls in Budapest geborene Kunsthistorikerin Julia Gyárfás.

Obwohl seine Frau bereits 1919 zum evangelischen Glauben nach Augsburger Bekenntnis und anlässlich ihrer Heirat zum Katholizismus konvertiert war, galt sie nach den Nürnberger Gesetzen als Jüdin und Wilde damit als "jüdisch versippt". Nach dem "Anschluss" im März 1938 stellte der Kommissarische Leiter des KHM Fritz Dworschak im Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten unter Hinweis auf Wildes "übergewöhnliche Verdienste" einen Antrag auf seine Weiterbelassung im Dienst. Diese wurde jedoch nicht gewährt und Wilde emigrierte, unterstützt von Antoine Seilern, einem österreichisch-britischen Kunsthistoriker und -sammler sowie von Kenneth Clark, Direktor der National Gallery in London, gemeinsam mit seiner Frau im April 1939 nach Großbritannien. Das Ehepaar Wilde lebte in Aberystwyth, Wales, wo Wilde die Kunstsammlung Seilerns und die Bilder der National Gallery, die sich im selben Gebäude befanden, konservatorisch betreute. Weiters katalogisierte Wilde die Sammlung italienischer Zeichnungen des British Museum. 1940 wurde Wilde als "feindlicher Ausländer" in Kanada interniert, da die Lager in Großbritannien überfüllt waren. Er konnte jedoch 1941 nach England zurückkehren und begann eine Lehrtätigkeit am Courtauld Institute, ein zur Londoner Universität gehörendes Institut für Kunstgeschichte mit eigener Kunstsammlung. 1948 wurde er zum stellvertretenden Direktor ernannt, eine Position, die er bis zu seiner Emeritierung 1958 innehatte.

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Publikationen zur Person / Institution

Kenneth Clark, Johannes Wilde, in: The Burlington Magazine 103 (June 1961), 205.

Dennis Farr, Wilde, Johannes (János), in: Oxford Dictionary of National Biography, 2004.

Dennis Farr, A Student at the Courtauld Institute, in: The Burlington Magazine 1229 (August 2005), 539–547.

W. Eugene Kleinbauer, Modern Perspectives in Western Art History: An Anthology of 20th-Century Writings on the Visual Arts, New York 1971.

Károly Kókai, Alternative Moderne. Johannes Wilde in Wien und Budapest, in: András F. Balogh, Helga Mitterbauer (Hg.), Gedächtnis und Erinnerung in Zentraleuropa, Wien 2011, 217–230.

Csilla Markója/István Bardoly, Wilde János családjának írt levelei, 1915–1917, in: Enigma 21 (2015) 83, 92–134.

Csilla Markója/István Bardoly, Wilde János családjának írt levelei, 1920–1921, in: Enigma 21 (2015) 84, 125–174.

Csilla Markója/István Bardoly, Wilde János családjának írt levelei 1922–1923, in: Enigma 21 (2015) 85, 11–75.

Csilla Markója, István Bardoly, Meller Simon és Petrovics Elek levelei Wilde Jánosnak, in: Enigma 21 (2015) 84, 49–68.

Csilla Markója, János (Johannes) Wilde and Max Dvořák, or Can we speak of a Budapest school of art history? in: Journal of Art Historiography (17) 2017, 1–21: URL: arthistoriography.files.wordpress.com/2017/11/markoja.pdf (17.10.2022).

Csilla Markója, Everyday life at the Dvořák Seminar, on the basis of contemporary sources. Addenda to the history of the Vienna School of Art History, in: Journal of Art Historiography (25): URL: real.mtak.hu/id/eprint/136085 (17.10.2022).

Ulrike Runeberg, Immigrant Picture Restorers of the German-speaking World in England from the 1930s to the Postwar-era, in: Arts in Exile in Britain 1933–1945. Politics and Cultural Identity. Edited by Shulamith Behr and Marian Malet, Amsterdam 2005, 339–371.

John Sherman, Johannes Wilde (1891–1970), in: Hermann Fillitz (Hg.), Wien und die Entwicklung der kunsthistorischen Methode, Wien-Graz 1984, 91–97.

Lee Sorensen, Wilde, Johannes, in: Dictionary of Art Historians, URL: arthistorians.info/wildej (13.10.2022).

Ulrike Wendland, Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler, 2, München 1999, 767–773.

Publikationen der Person / Institution

Johannes Wilde/Max Dvořák/Carl Maria Swoboda (Hg.), Kunstgeschichte als Geistesgeschichte. Studien zur abendländischen Kunstentwicklung, München 1924.

Johannes Wilde, Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck, mit einem Anhang über die Anfänge der holländischen Malerei, München 1925.

Johannes Wilde, Geschichte der italienischen Kunst im Zeitalter der Renaissance akademische Vorlesungen, München 1927/28.

Johannes Wilde, Gesammelte Aufsätze zur Kunstgeschichte, München 1929.

Johannes Wilde/Arthur Ewart Popham, The Italian Drawings of the XV and XVI Centuries in the Collection of His Majesty the King at Windsor Castle (catalogue, with reproductions; the sections relating to Michelangelo and his school by J. Wilde, translated by J. Leveen), London 1949.

Johannes Wilde, Italian drawings in the Department of Prints and Drawings in the British Museum. Michelangelo and his studio, London 1953.

Johannes Wilde/Arthur Ewart Popham, Italian drawings in the Department of Prints and Drawings in the British Museum. Artists working in Parma in the sixteenth century. Correggio, Anselmi, Rondani, Gatti, Gambara, Orsi, Parmigianino, Bedoli, Bertoja, London 1967.

Johannes Wilde, Venetian art from Bellini to Titian, Oxford 1974.

Archivalien

BDA-Ausfuhr, Ausfuhransuchen Johannes Wilde, Zl. 02870/1939.

KHM-Archiv, Personalia: III 1937, III 2318, III 2319; Direktionsakten: 132/KL/1938, 360/KL/1938, 190/KL/1939.
KHM, Gemäldegalerie, 27/GG/1939, 43/GG/1970.

OeStA/AdR, ZNsZ, Gauakt Johannes Wilde, Zl. 48469.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA 3810, Johannes Wilde.

School of Slavonic and East European Studies (SSEES) Library, University College London, Catalogue of Wilde Collection: www.ucl.ac.uk/library/ssees-archives/widitem.htm (18.10.2022).