Rieger, Heinrich

Heinrich Rieger

Porträt, Gemälde
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25.12.1868 Szered, Ungarn (heute Slowakei) – 17.10.1942 Ghetto Theresienstadt / Terezín

Der Zahnarzt Heinrich Rieger lebte mit seiner Frau Berta und drei Kindern in Wien 7, Mariahilferstraße 124. Dort befand sich auch seine Zahnarztpraxis, wo er ab den 1920er-Jahren gemeinsam mit Schwiegersohn Fritz Ticho, Schwiegertochter Rosa und Sohn Robert ordinierte. Der Erfolg als Zahnarzt bildete die wirtschaftliche Basis für Riegers zeitgenössische Kunstsammlung. Rund 800 Werke von über 270 KünstlerInnen schmückten Wohnung und Praxis sowie das Sommerhaus mit Skulpturengarten im niederösterreichischen Gablitz. Sammlungsschwerpunkt bildeten mehrere Ölgemälde und rund 140 Blätter von Egon Schiele, der – wie auch Josef Dobrowski oder Luigi Kasimir – Rieger für Zahnbehandlungen mit Kunstwerken bezahlte. Ludwig Jungnickel, Ferdinand Kitt, Alfred Hawel, Egon Schiele, Max Oppenheimer, Josef Dobrowsky und Franz Wiegele porträtierten den Kunstliebhaber, Gustinus Ambrosi erschuf eine Skulptur von ihm. Er war großzügiger Leihgeber und publizierte Werke seiner Sammlung in diversen Zeitschriften. 1928 unternahm Rieger den Versuch, die aus allen Nähten platzende Sammlung der öffentlichen Hand zu verkaufen. Doch weder die Stadt Wien noch die Republik Österreich zeigten Interesse. Nach der Präsentation seiner Sammlung in der Herbstausstellung 1935 im Künstlerhaus sollte 1937 die Ausstellung Exposition d’Art Autrichien im Musée du Jeu de Paume des Tuilleries in Paris den internationalen Höhepunkt der Anerkennung seiner Sammlungstätigkeit bringen.

Der "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich bedeutete neben der NS-Verfolgung der jüdischen Familie Rieger auch die Zerstörung von Riegers Lebenswerk. Nach dem Verlust der Approbation aufgrund der Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom Juli 1938 übersiedelte das Ehepaar im Oktober 1938 nach Gablitz. Einen Monat später musste Rieger die Villa mittels Leibrentenvertrag an die Gemeinde übertragen, das Haus räumen und die Kunstsammlung verkleinern. Im Herbst 1938 konnten Robert und Rosa Rieger mit ihrer Tochter Eva in die USA fliehen, Schwiegersohn Fritz Ticho und seiner Tochter Tanna gelang die Flucht nach Palästina. Nachdem im Herbst 1939 die NS-Behörden anordneten, dass alle Jüdinnen und Juden aus den Provinzen nach Wien zu übersiedeln hatten, war das Ehepaar Rieger gezwungen, mehrfach das Quartier zu wechseln und die Kunstsammlung vollständig zu verwerten. Wann und an wen Rieger seine Sammlung verkaufte, lässt sich nur zum Teil nachvollziehen. Werke gelangten an diverse BewohnerInnen in Gablitz, mehr als 20 der wichtigsten Gemälde erwarb Friedrich Welz bzw. die von ihm "arisierte" Kunsthandlung Galerie Würthle, Verkäufe folgten weiters im Kunsthandel etwa an Benno Moser sowie Margarethe Grachegg oder die Galerie Zinckgraf. Den größten Teil der Sammlung übernahm 1941 der "Ariseur" der Kunsthandlung Halm und Goldmann, Luigi Kasimir. Die Städtischen Sammlungen ersteigerten im Dorotheum eine Klimt-Studie zum Universitätsfresko Die Medizin. Im Juni 1942 waren Heinrich und Berta Rieger ins Altersheim der Kultusgemeinde in die Leopoldstädter Zirkusgasse übersiedelt, bevor sie im September 1942 in das Sammellager Malzgasse 7 eingewiesen und kurz darauf mit dem 42. Transport in das Ghetto Theresienstadt deportiert wurden. Heinrich Rieger starb dort am 17. Oktober 1942, Berta Rieger wurde am 16. Mai 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und vermutlich sofort nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet.

Nach 1945 meldete der Rechtsvertreter von Robert Rieger den Verlust der Bildersammlung beim Bundesdenkmalamt. Im Juni 1946 verurteilte das Volksgericht Wien Luigi Kasimir zu 18 Monaten Haft wegen seiner illegalen Zugehörigkeit zur NSDAP. Von so genannten Sühnemaßnahmen gegen NationalsozialistInnen betroffen, öffneten Beamte des Wiener Wohnungsamtes Wohnung und Atelier Kasimirs (einst von Elsa Gall "arisiert"), wo sie 800 Kunstwerke sicherstellten. Diese wurden in das Depot der Städtischen Sammlungen im Rathaus überführt, und das Bundesdenkmalamt Wien ordnete 187 Kunstwerke der ehemaligen Sammlung Rieger zu. Mit Ausnahme von vier Gemälden, die das Museum als "Ersatz an Transport- und Lagerspesen" zurückbehielt, wurden die Werke anschließend von Robert Rieger nach New York bzw. von Tanna Ticho nach Tel Aviv verbracht. Die Wiener Rückstellungskommission sollte 2002 die Rückstellung dieser vier Gemälde von Gottlieb T. Kempf, Robin C. Andersen, Josef Dobrowsky und Sergius Pauser beschließen und restituieren, 2006 folgte die Rückgabe der erwähnten Klimt-Zeichnung aus dem Wien Museum. Zwölf Kunstwerke waren zudem von den amerikanischen Alliierten bei Friedrich Welz sichergestellt und im Mai 1948 restituiert worden. Welz hatte jedoch weitere Gemälde aus dem Eigentum von Heinrich Rieger in seinen Händen, die er vor den Behörden versteckte bzw. die später von den US-Behörden ohne Prüfung an ihn ausgehändigt worden waren. 1949 verkaufte er die Schiele-Gemälde Wiesenlandschaft mit Häusern an die Österreichische Galerie Belvedere und 1958 Hafen von Triest an die Neue Galerie in Graz. Beide Gemälde wurden 2004 bzw. 2006 gemäß Kunstrückgabegesetz bzw. dem steiermärkischen Landeskunstrückgabegesetz an die RechtsnachfolgerInnen von Heinrich Rieger rückübereignet.

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Publikationen zur Person / Institution

Beiratsbeschluss Henrich Rieger, 25.11. 2004 URL: www.provenienzforschung.gv.at/wp-content/uploads/2006/04/Rieger.pdf (23.10.2023).

Sechster Bericht des amtsführenden Stadtrates für Kultur und Wissenschaft über die gemäß dem Gemeinderatsbeschluss vom 29. April 1999 erfolgte Übereignung von Kunst- und Kulturgegenständen aus den Sammlungen der Museen der Stadt Wien sowie der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, 15.11.2005. URL: www.wienmuseum.at/items/uploads/items/Restitutionsbericht_2005.pdf (23.10.2023).

Tobias Natter, Die Welt von Klimt, Schiele und Kokoschka: Ihre Sammler und Mäzene, Köln 2003.

Lisa Fischer, Irgendwo. Wien, Theresienstadt und die Welt. Die Sammlung Heinrich Rieger, Wien 2008.

Catharine Tessmar, Wiener Platzerln. Die Geschafte des Künstlers Luigi Kasimir, Wien 2006.

Gert Kerschbaumer, Meister des Verwirrens. Die Geschäfte des Kunsthändlers Friedrich Welz, Wien 2000.

Archivalien

Archiv der IKG Wien, Matriken, Heinrich Rieger.
Archiv der IKG Wien, Deportationsliste, 42. Transport, 24.9.1942.

BArch Koblenz, Österreich-Claims, B323/467, 478,  Rieger Heinrich.

BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 44/1, PM Heinrich Rieger.

Gemeinde Gablitz, altes Gemeindeamt, Baupolizei, Bauakt EZ 122.

Grundbuch Purkersdorf, KG Gablitz, EZ 122.

OeStA/AVA, BMU, Allg. 1928 35449/6, Heinrich Rieger.
OeStA/AdR, BMU 15B1, Karton 152, Heinrich Rieger.
OeStA/AdR, RSTH, Abt. III, 201773/38.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA 28350, Heinrich Rieger.
OeStA/AdR, E-uReang, Hilfsfonds, Abgeltungsfonds 7.647, Robert Rieger.
OeStA/AdR, E-uReang, FLD, Zl. 5573, Robert Rieger.

OÖLA, Volksgericht Linz, Vg 8 Vr  6626/47, Friedrich Welz.

SLA, LG Salzburg, RK 108/48, Rückstellungsakt Friedrich Welz.

WStLA, BG Innere Stadt, 8 A 177/47, Verlassenschaft Heinrich Rieger.
WStLA, Historische Wiener Meldeunterlagen, Meldeauskunft Heinrich Rieger.
WStLA, Künstlerhausarchiv, Sammlung des Herrn Dr. Heinrich Rieger (Herbstausstellung 1935).
WStLA, Volksgericht, A1, Vg Vr 2108/45, Alois (Luigi) Kasimir.