Mendelssohn, Giulietta

Giulietta Mendelssohn

Porträt, Schwarzweiß-Foto
Info
Zusatzinformationen

17.5.1871 Florenz – 27.2.1957 Florenz

Die italienische Pianistin Julia Sofia Maria Gordigiani, genannt Giulietta, war die Tochter des Porträtisten Michele Gordigiani und dessen Ehefrau Gabriella, née Couyere. 1898 heiratete sie Georg Alexander Robert von Mendelssohn, Mitinhaber und späterer Seniorchef des Bankhauses Mendelssohn & Co. in Berlin. Gemeinsam mit seinen drei Kindern Eleonora, Francesco und Angelika lebte das Ehepaar in einer Villa in Berlin-Grunewald, in der auch die repräsentative Kunstsammlung untergebracht war. Robert von Mendelssohn war Mitglied zahlreicher Kunstfördervereinigungen und Sammler sowohl alter Kunst als auch moderner Gemälde. Zunächst erwarb er wertvolle Altmeister-Werke, u. a. von Rembrandt, Francisco de Goya oder Peter Paul Rubens, wandte sich aber zusehends der zeitgenössischen französischen Malerei zu. Mit seinem Tod am 20. August 1917 ging das Vermögen, inklusive der Kunstsammlung, an seine Frau Giulietta als gesetzliche Vorerbin über.

Nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus 1933 emigrierten Eleonora und Francesco im September 1935 nach New York, da sie aufgrund der jüdischen Herkunft ihres Vaters als "Mischlinge zweiten Grades" galten und sich so der NS-Verfolgung ausgesetzt sahen. Angelika war bereits 1920 verstorben. Im Unterschied zu den Kindern war Giulietta römisch-katholisch getauft und entsprechend der NS-Diktion "Arierin". 1941 verkaufte Giulietta von Mendelssohn, die zu diesem Zeitpunkt wieder in Italien lebte und die italienische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, die Villa im Grunewald an den Reichsfiskus (Heer). Die beiden Treuhänder Richard Lange in Berlin und Aldo Cima, Generalsekretär der italienischen Handelskammer in Wien, ließen Kunstwerke der Sammlung Ende 1941 nach Wien bringen. Cima betraute den Wiener Kunsthändler Otto Schatzker, zugleich Schätzmeister für die italienische Handelskammer, mit deren Verkauf. Rembrandts Porträt der Hendrickje Stoffels  kaufte der Sonderbeauftragte Hans Posse für das Kunstmuseum in Linz im März 1942 an. 32 Kunstwerke erwarb die Reichsstatthalterei in Wien, die in der Folge ein Selbstporträt Rembrandts dem Kunsthistorischen Museum (KHM), fünf Gemälde von Camille Corot, Edgar Degas, Édouard Manet und Claude Monet der Österreichischen Galerie (ÖG) und drei Blätter von Adolf Friedrich Erdmann Menzel sowie 23 Miniaturen der Albertina zuwies. Am 18. Oktober 1945 wurde das Porträt der Hendrickje Stoffels vom Salzbergwerk Altaussee, wo es zum Schutz vor etwaigen Kriegsschäden geborgen war, in den Central Collecting Point München transferiert und sollte 1949 zum Bundesvermögen der BRD erklärt werden. Am 17. Dezember 1948 brachten Eleonora und Francesco von Mendelssohn beim Zentral-Anmeldeamt Bad Nauheim in der Bundesrepublik Deutschland einen Antrag auf Rückerstattung des Gemäldes ein. Sie argumentierten, dass ihnen ihre Mutter das Bild 1933 geschenkt und Hans Posse dessen Verkauf mit angedrohter Gewalt erzwungen hätte. Die Wiedergutmachungskammer beim Landgericht München I lehnte den Rückerstattungsantrag am 2. Juni 1953 mangels bewiesenen Eigentums ab, die dagegen erhobene Beschwerde wies das Oberlandesgericht München am 10. März 1954 zurück. Noch während des Verfahrens in München brachten Francesco von Mendelssohn und Lillian D. Rock als Testamentsvollstreckerin nach der 1951 verstorbenen Eleonora von Mendelssohn im November 1952 einen Rückstellungsantrag beim Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien ein. Das Begehren umfasste die sechs Gemälde im KHM und in der ÖG. Dass sich zum Zeitpunkt der Verfahren auch in der Albertina Kunstwerke aus der Sammlung Mendelssohn befunden hatten, dürfte den ErbInnen wohl nicht bekannt gewesen sein, denn diese Objekte waren in den Rückstellungsanträgen nicht angeführt. Die Finanzprokuratur stellte in der an die Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen gerichteten Gegenäußerung fest, dass der Antrag unbegründet und damit abzuweisen sei, da die Eigentümerin und Verkäuferin Giulietta nicht zu den politisch verfolgten Personen gehörte, keinem Druck ausgesetzt war und den vollen Kaufpreis erhalten hatte. Auf der Grundlage der von der Kommission für Provenienzforschung 2019 wiederaufgenommenen Recherchen für Albertina, KHM und ÖG und des gemeinsam erstellten Dossiers sprach sich auch der Kunstrückgabebeirat im Mai 2023 gegen eine Restitution aus.

Author Info
AutorIn
Veröffentlichungsdatum
Publikationen zur Person / Institution

Beiratsbeschluss Giulietta Mendelssohn, 15.5.2023, URL: provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Mendelssohn_Giulietta_2023-05-15.pdf (7.6.2023).

Thomas Blubacher, "Denk Dir, ein Wesen zu haben, was man liebt …". Die Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn, in: Mendelssohn Studien. Beiträge zur neueren deutschen Kultur- und Wirtschaftsgeschichte, Band 13, Berlin 2003, 259–289.

Thomas Blubacher, Gibt es etwas Schöneres als Sehnsucht? Die Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn, Berlin 2008.

Thomas Blubacher, Eleonora und Francesco von Mendelssohn, in: Melissa Müller/Monika Tatzkow (Hg.), Verlorene Bilder, verlorene Leben. Jüdische Sammler und was aus ihren Kunstwerken wurde, München 2009, 72–85.

Franklin Kopitsch/Dirk Brietzke (Hg.), Hamburgische Biografie – Personenlexikon, Band 2, Göttingen 2003.

Anna-Dorothea Ludewig/Julius H. Schoeps/Ines Sonder (Hg.), Aufbruch in die Moderne. Sammler, Mäzene und Kunsthändler in Berlin 1880–1933, Köln 2012.

Julius H. Schoeps, Das Erbe der Mendelssohns. Biographie einer Familie, Frankfurt/Main 2009.

Archivalien

Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, Grundbuchamt, Bestand historische Grundakten; Grundstück Königsallee 16.

Amtsgericht Berlin-Mitte, Testament Robert von Mendelssohn, Nachlassverfahren Robert von Mendelssohn.

Archivio Notarile Distrettuale Sovrintendenza di Firenze, Testament Giulietta Gordigiani.

Archivio Storico, Firenze, Elektronische Meldeauskunft Giulietta Gordigiani.

Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Bildakt_L_819_Korresp_1942.

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Bestand Rep. 36 A Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg, Zl. 5.658: Devisenstellen-Sammelakt, Giulietta von Mendelssohn-Gordigiani.

Bundesarchiv (BA) Koblenz, Treuhandverwaltung von Kulturgut bei der Oberfinanzdirektion München (B 323), B 323/132, B 323/135, B 323/331.

Landesarchiv Berlin, Personenstandsurkunden; Auskünfte aus der historischen Berliner Einwohnermeldekartei (EMK); Akten A Rep. 342 Nr. 20.629 (Nachlass Franz von Mendelssohn); Bauakten (Königsallee 16).

Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SMB – PK), Zentralarchiv (SMB-ZA), I/NG Spec.22, Bd. 1, Zl. 1.868/1939; Zl. 239/1940; I/GG 23, Zl. 480/1940, Zl. 1.534/1940.

Staatsarchiv München, Wiedergutmachungsbehörde Oberbayern (WB) Ia 4.301.

WStLA, LG für Zivilrechtsachen, A 29 Rückstellungskommission, RK 129/62 und RK 470/1952.