Perles, Moritz, Buch-, Kunst- und Musikalienhandel

Buch-, Kunst- und Musikalienhandel Moritz Perles

Info

Der am 15. Dezember 1844 in Prag geborene Moritz Perles war mit Agnes, née Schiller, verheiratet, und hatte mit ihr vier Kinder: Oskar, Ernst, Robert und Elsa Perles. Nachdem er eine Buchhändlerlehre in Prag, Mannheim und Wien abgeschlossen hatte, gründete er am 15. März 1869 in Wien 1, Steindlgasse 2 eine Buchhandlung mit dem Schwerpunkt Verlags-, Sortiment- und Kommissionsgeschäft. Auf die Verlegung von Periodika, Adressbüchern, Zeitschriften und Kalender spezialisiert, baute Perles die Firma zu einem bedeutenden Wissenschaftsverlag aus, der ab 1888 die renommierte Wiener Medizinische Wochenschrift herausgab. Neben seinen Söhnen Oskar und Ernst Perles arbeitete sein Schwager Friedrich Schiller seit 1874 im Unternehmen mit. Oskar Perles, der den Beruf des Buchhändlers erlernt hatte, und Friedrich Schiller traten 1899, Ernst Perles 1905 als öffentliche Gesellschafter in die Firma ein. Nach dem Tod von Moritz Perles am 25. Februar 1917 übernahmen seine beiden Söhne zu gleichen Teilen die Anteile der Firma, Schiller sollte 1933 als stiller Gesellschafter an dieser beteiligt werden.

Die Familie Perles war jüdischer Herkunft und nach dem "Anschluss" der nationalsozialistischen Verfolgung ausgesetzt. Neben der Firma, deren letzte Betriebsanschrift sich 1938 in Wien 1, Seilergasse 4 befand, besaß die Familie Perles in Wien zahlreiche Liegenschaften, die ihnen entzogen werden sollten. Im September 1938 setzte die Vermögensverkehrsstelle (VVSt) Arthur Pribyslavsky als kommissarischen Verwalter des Unternehmens ein. Am 30. September 1938 entschied die Reichsschrifttumskammer in Berlin die Firma zu schließen, im Oktober 1938 sperrte die Gestapo diese. Aufgrund der betriebseigenen Vermögenswerte und des begehrten Standortes der Firma bewarben sich mehrere Personen um deren "Arisierung", darunter Arthur Pribyslavsky und Johannes Katzler. Zunächst ordnete die VVSt im Dezember 1938 die Liquidierung und Abwicklung an. Pribyslavsky schied im Februar 1939 als kommissarischer Verwalter aus und wurde als solcher durch den Inhaber des Ostmarkverlages Gottfried Linsmayer abgelöst, der nunmehr die Liquidation der Firma durchführte. Das Haus und das Unternehmen Perles in Wien 1, Seilergasse 4 erwarb mit Genehmigung der VVSt die Firma Deutsche Werkstätten AG unter der Auflage, die Bücherwarenbestände an einen Buchhändler zu veräußern, da die Firma selbst keine Bewilligung zum Abverkauf von Büchern besaß. Während die Verlagsrechte der Firma Perles zunächst unangetastet blieben, gelang es Johannes Katzler über den Rechtsanwalt der Deutschen Werkstätten AG in den Besitz der Warenbestände zu kommen und vor allem den von Perles über Jahrzehnte aufgebauten Kundenstock zu übernehmen. Nachdem ihm die VVSt am 26. Juni 1939 die Genehmigung zur "Arisierung" der Warenlager erteilt hatte, verlagerte Katzler die Buchbestände in die von ihm "arisierte" Buchhandlung von Alois Reichmann. Dort führte er sie mit den Beständen der von ihm "arisierten" Buchhandlungen Richard Lány, Josef Kende, Max Breitenstein, Heinrich Saar und Carl Wilhelm Stern zusammen. Die ihm übertragenen Verlagsrechte der Firma integrierte er in seinen Gesamtverband Deutscher antikommunistischer Vereinigungen (Anti-Komintern). Die übrig gebliebenen Vermögensanteile der Firma wurden von der Treuhandgesellschaft Donau bis Juli 1940 abgewickelt, die Firma im Juli 1942 aus dem Handelsregister gelöscht. Oskar Perles kam 1942 in Izbica (Polen) ums Leben, Robert Perles wurde zunächst in das Ghetto Theresienstadt deportiert und am 17. Mai 1942 in das KZ Lublin überstellt und ermordet, Ernst Perles verstarb am 3. Jänner 1942 in Wien, Elsa Perles flüchtete in die Schweiz, Friedrich Schiller gelang die Flucht in die USA.

Nachdem das Volksgericht Wien Johannes Katzler zu 18 Monaten schweren Kerker und zum Vermögensverfall an die Republik Österreich verurteilt hatte, strengten Moritz Perles' Tochter Elsa, verehelichte Pollak, und die RechtsnachfolgerInnen nach Oskar und Robert Perles sowie nach Friedrich Schiller ein Rückstellungsverfahren nach dem Zweiten Rückstellungsgesetz bezüglich der Firma und der Liegenschaften bei der Finanzlandesdirektion (FLD) für Wien, Niederösterreich und das Burgenland an. Mit dem Bescheid der FLD aus dem Jahr 1951 war die Rückstellung einer geringen Zahl von Büchern samt einer einmaligen Abschlagszahlung und der Auszahlung eines Barbetrages aus dem Erlös für die veräußerten Bestände der ehemaligen Firma Perles vorgesehen. Alle weiteren Rückstellungsansprüche gegenüber der Republik Österreich sollten damit ausgeschlossen werden. Die im Mai 1938 von den Brüdern Emil und Richard Hollinek "arisierten" Verlags- und Herausgeberrechte an der Wiener Medizinischen Wochenschrift waren nicht Teil der Rückstellungsverfahren. Nachdem der österreichische Germanist Murray G. Hall diesen Fall dokumentiert hatte, kam es 1986 zu einer Verleumdungsklage der Familie Hollinek gegen Hall, die mit einem Vergleich unter der Aufrechthaltung der von Hall dokumentierten Faktenlage endete. Heute erinnert eine am Haus in der Seilerstätte 4 angebrachte Gedenktafel an die Firma Moritz Perles.

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Publikationen zur Person / Institution

Katja Bertz, "Arisierung" im österreichischen Buchhandel. Auf den Spuren der Buchhandlungen Richard Lányi, Alois Reichmann, Josef Kende, Moritz Perles, M. Breitenstein, Heinrich Saar und Dr. Carl Wilhelm Stern, Diplomarbeit Universität Wien 2009.

Murray G. Hall, Österreichische Verlagsgeschichte 1918–1938 1, Wien-Köln-Graz 1985.
Murray G. Hall, Rühren an den Schlaf der Welt, in: Das jüdische Echo 1 (Oktober 1986), 86–98.

Iris Pawlitschko, Jüdische Buchhandlungen in Wien. "Arisierung" und Liquidierung in den Jahren 1938–1945, Diplomarbeit Universität Wien 1996.

Daniela Punkl, Verlag Moritz Perles, k. u. k. Hofbuchhandlung in Wien, Diplomarbeit Universität Wien 2002.

Archivalien

OeStA AdR, E-uReang, FLD 4.161, Robert Perles.
OeStA/AdR, E-uReang, FLD 14.729, Friedrich Schiller.
OeStA/AdR, E-uReang, FLD, 19.685, Emilie Reichmann.
OeStA/AdR, E-uReang, Hilfsfonds, Abgeltungsfonds 2.341, Robert Perles.
OeStA/AdR, E-uReang, Hilfsfonds, Abgeltungsfonds 5.006, Robert Perles, Marie Perles.
OeStA/AdR, E-uReang, Hilfsfonds, Abgeltungsfonds 5.009, Marie Perles.
OeStA/AdR, E-uReang, Hilfsfonds, Abgeltungsfonds 11.088, Marie Perles.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, Handel 2.183, Moritz Perles.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA 26.298, Oskar Perles.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA 26.367, Ernst Perles.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA 30.250, Felix Reichmann.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA 41.383, Elsa Pollak.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA 46.353, Robert Perles.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA 46.402, Marie Perles.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA 50.490, Friedrich Schiller.
OeStA/AdR, ZNsZ, Gauakt 50.484, Johannes Katzler.

WStLA, Handelsregister, Ges. 48, 199, Perles Moritz.
WStLA, M.Abt. 119, A41, VEAV 160, 4. Bez., Felix Reichmann.
WStLA, M.Abt. 119, A41, VEAV 1886, 1. Bez., Ernst Perles.
WStLA, M.Abt. 119, A41, VEAV 721, 1. Bez., Ernst Perles, Robert Perles.
WStLA, M.Abt. 119, A41, VEAV 1513, 1. Bez., Robert Perles.
WStLA, M.Abt. 119, A41, VEAV 50, 1. Bez., Moritz Perles-Gebrüder Hollinek -  Wiener Medizinische Wochenschrift.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg Vr 5194/46, Johannes Katzler.