Gertrud Marle kam als erste von zwei Töchtern des vom Judentum zum Protestantismus konvertieren Ehepaars Josef Richard und Marianne Marle in Wien zur Welt. Ihre Schwester Erika Lilly wurde 1921 in Prag geboren. Sie und Gertrud besuchten die private reformpädagogische Schule von Eugenie Schwarzwald. Die Mutter nahm sich 1936 das Leben, der Vater starb 1937. Gertrud und Erika Lilly erbten von den Eltern Anteile an einem Zinshaus in Wien 8, Piaristengasse 34.
Nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich zählten Gertrud und Erika Lilly Marle zum Kreis der Verfolgten und mussten eine Vermögensanmeldung abgeben, die ihre Tante Bertha Schiller für die Minderjährigen ausfüllte. Angeführt waren neben dem Hausanteil Schmuck, Silber und Teppiche, allerdings keine ethnographischen Gegenstände. Am 3.11.1938 übernahm das Museum für Völkerkunde (MVK, heute Weltmuseum Wien) von Gertrud Marle einen Bogen und zehn Pfeile aus Brasilien als "Geschenk" und verzeichnete die Objekte im Eingangsbuch unter Post II/1938. Die Inventarisierung erfolgte erst Jahre später. Dass Gertrud Marle die Gegenstände persönlich ins Museum brachte, muss angezweifelt werden, denn laut Meldeauskunft war sie bereits am 14.10.1938 aus der Wohnung von Bertha Schiller und der Großmutter Marianne Schiller in Wien 1, Rathausstraße 3/14, nach London abgemeldet worden, ihre Schwester Erika folgte ihr am 19.11.1938. In einem von der Spedition Popper für Gertrud Marle eingebrachten Ausfuhransuchen waren Kunstgegenstände und kunstgewerblichen Objekte angeführt – u. a. Aquarelle, Ölbilder, Vasen sowie ein Teppich. Die Zentralstelle für Denkmalschutz bewilligte die Ausfuhr, allerdings fehlen Stempel oder Vermerke, die den tatsächlichen Grenzübertritt belegen würden. Das Finanzamt Innere Stadt West ließ aufgrund ausständiger diskriminierender Steuern ("Judenvermögensabgabe", JUVA) im Grundbuch auf die von den Eltern geerbten Liegenschaftsanteile der Schwestern in der Piaristengasse Pfandrechte einverleiben. 1941 fiel dieser Besitz aufgrund der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz an das Deutsche Reich. Da die Schwestern nach dem Ende des NS-Regimes keinen Antrag auf Rückstellung ihrer Hausanteile in Wien stellten, sollten diese 1960 als erbloses Vermögen den Sammelstellen A und B zufallen.
Gertrud und Erika Lily Marle lebten nach ihrer Flucht zunächst auf der Isle of Wight. Gertrud Marle änderte ihren Vornamen auf Gertrude und ließ sich in England zur Lehrerin ausbilden. 1947 heiratete sie den ebenfalls aus Wien stammenden, 1911 geborenen George Erwin Blau, übersiedelte mit ihm Ende der 1940er-Jahre nach Washington D. C. und nahm die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an. 1955 bekam ihr Mann eine Stelle als Militärhistoriker für das US Department of the Army in Germany. In den 1960er-Jahren lebte die Familie in Heidelberg, wo Gertrude Marle Blau, die inzwischen Germanistik studiert hatte, deutsche Literatur lehrte und einen bilingualen Kindergarten gründete. Nach der Pensionierung von George Erwin Blau ließ sich das Ehepaar im kalifornischen San Diego nieder. 1999 zog die inzwischen verwitwete Gertrude Marle Blau nach Boston. Ihre Schwester Erika, die mit dem Briten Brian Pimm verheiratet war, wurde Sängerin und Pianistin und spielte in den 1950er-Jahren im London Philharmonic Orchestra. Sie verübte 1965 Suizid. 2007 sprach sich der Kunstrückgabebeirat für die Restitution der von Gertrud Marle 1938 dem MVK übergegebenen ethnographischen Objekte aus.