Christian, Viktor

Viktor Christian

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30.3.1885 Wien – 28.5.1963 Walchsee

1922 habilitierte Viktor Christian an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien im Fach "Semitisch mit besonderer Berücksichtigung der Keilinschriften" und wurde 1924 zum außerordentlichen Professor, sechs Jahre später zum ordentlichen Professor für altsemitische Philologie und orientalische Archäologie ernannt. Er gehörte der "Bärenhöhle", einem antisemitischen Professorennetzwerk, an, welches die Berufung und Habilitation jüdischer und/oder politisch links stehender WissenschaftlerInnen an der Universität Wien zu verhindern suchte. Dementsprechend meldete sich Christian bereits 1933 bei der NSDAP als Mitglied an, ohne jedoch eine Mitgliedsnummer zu erhalten. Nachdem er 1934 wegen seiner nationalsozialistischen Betätigung entlassen worden war, konnte er – wohl infolge des Juliabkommens rehabilitiert – ab 1936 wieder als Professor tätig sein. Im Mai 1938 beantragte er erneut die Aufnahme in die NSDAP und erhielt nun die Mitgliedsnummer 6,127.801; ab November war er außerdem Mitglied der allgemeinen SS (1943 SS-Sturmbannführer).

Nach dem "Anschluss" wurde Christian zum Vorstand des Orientalischen Instituts der Universität Wien bestellt und Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Zunächst kommissarischer Dekan der Philosophischen Fakultät, wurde er im April 1939 als Dekan bestätigt. 1938 wurde Christian aber auch interimistischer Leiter des Instituts für Völkerkunde und des Instituts für Anthropologie der Universität Wien. Um "jüdisches Skelettmaterial" für anthropologische Forschungen zu erhalten, leitete er 1941 die Exhumierung jüdischer Gräber am Friedhof Wien-Währing ein. Dank seiner Verbindungen in nationalsozialistische Kreise wurde Christian zudem Leiter der Lehr- und Forschungsstelle für den vorderen Orient des SS-Ahnenerbes. Von Juni 1943 bis 1945 war er auch im NS-Altherrenbund als Gauverbandsleiter von Wien tätig. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte Christian kurz vor Kriegsende, als er im April 1945, nach zwei Jahren als Prorektor, zum Rektor der Universität Wien avancierte. Dieses Amt übte er allerdings nur wenige Tage aus. Ab Mitte Mai 1945 (bis Juli 1947) war er in verschiedenen Lagern interniert und wurde im Juni 1945 vom Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und Kultusangelegenheiten aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft entlassen. Die Dienstenthebung Christians wurde im Rahmen der Amnestiegesetzgebung 1950 in einen Ruhestand mit Bezügen umgewandelt. Nach einer Festschrift zu Ehren seines 70. Geburtstages im Jahr 1955 erhielt Christian 1960 das Goldene Doktordiplom der Universität Wien.

In der NS-Zeit versuchte Viktor Christian nachweislich immer wieder jüdischen EigentümerInnen entzogene Bücher an sein Orientalisches Institut zu bringen. Im Fall des SS-Ahnenerbes war er erfolgreich, in anderen belegten Fällen gelang es ihm nicht. So wollte er etwa die Bibliothek des Albanologen Norbert Jokl (1877–1942) an die Universität Wien bringen zu lassen, hatte aber gegen den Generaldirektor der Nationalbibliothek Paul Heigl (1887–1945) das Nachsehen. Insgesamt übernahm das Orientalische Institut der Universität Wien unter dem Titel "Leihgabe Ahnenerbe" mehr als 8.000 Druckschriften aus den jüdischen Gemeinden des Burgenlandes (Kittsee, St. Peter, Frauenkirchen und Lackenbach), von den Privatpersonen Samuel Krauss (1866–1949) und Ludwig Feuchtwanger (1865–1947) sowie von der "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" und dem Völkerkundemuseum Wien. Diese Bestände waren im Zuge der NS-Verfolgung entzogen worden. Nach Kriegsende wurde ein Großteil davon an die IKG Wien übergeben und schließlich nach Israel verschickt.

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Publikationen zur Person / Institution

Adolf Grohmann, Viktor Christian †, in: Almanach der Österreichische Akademie der Wissenschaften 114, 1964, 421–436.

Christina Köstner-Pemsel/Markus Stumpf, "Machen Sie es ordentlich, damit man nachher, wenn wir die Bücher ihren Besitzern zurückgeben, nicht sagt, es hätten Schweine in der Hand gehabt." Die Orientalistik – Ergebnisse der Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Wien, in: VÖB (= Mitteilungen der Vereinigung österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare) 65 (2012) 1, 39–78, URL: fedora.phaidra.univie.ac.at/fedora/objects/o:107200/methods/bdef:Content/download (3.12.2020).

Katharina Kniefacz, Viktor Christian, Prof. Dr., in: 650 Plus - Geschichte der Universität Wien, URL: geschichte.univie.ac.at/de/personen/viktor-christian-prof-dr (3.12.2020).

Irene Maria Leitner, "Bis an die Grenzen des Möglichen": Der Dekan Viktor Christian und seine Handlungsspielräume an der Philosophischen Fakultät 1938–1943, in: Mitchell G. Ash/Wolfram Nieß/Ramon Pils (Hg.), Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität Wien, Göttingen 2010, 49–77.

Kurt Schubert (Hg.), Festschrift für Prof. Dr. Viktor Christian (Vorderasiatische Studien), Wien 1956.

Gerd Simon, Tödlicher Bücherwahn. Der letzte Universitätsrektor im 3. Reich und der Tod seines Kollegen Norbert Jokl, s.l., s.a., URL: homepages.uni-tuebingen.de//gerd.simon/buecherwahn.pdf (3.12.2020).

Gerd Simon [u. a.], Chronologie Viktor Christian, Tübingen 2006, URL: homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/ChrChristian.pdf (3.12.2020).

Markus Stumpf, Ergebnisse der Provenienzforschung an der Fachbereichsbibliothek Judaistik der Universität Wien, in: Bruno Bauer/Christina Köstner-Pemsel/Markus Stumpf (Hg.), NS-Provenienzforschung an österreichischen Bibliotheken. Anspruch und Wirklichkeit (= Schriften der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare 10), Graz-Feldkirch 2011, 155–188, URL: fedora.phaidra.univie.ac.at/fedora/objects/o:290050/methods/bdef:Content/download (3.12.2020).

Josef Wastl, Viktor Christian und die Anthropologische Gesellschaft in Wien. In: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 93-94 (1964), 9–11.

Mechthild Yvon, Der jüdische Albanologe Nobert Jokl und seine Bibliothek. Spielball zwischen Begehrlichkeit und akademischer Solidarität?, in: Murray G. Hall/Christina Köstner/Margot Werner (Hg.), Geraubte Bücher. Die Österreichische Nationalbibliothek stellt sich ihrer NS-Vergangenheit, Wien 2004, 104–117.

Publikationen der Person / Institution

Viktor Christian, Die Namen der assyrisch-babylonischen Keilschriftzeichen (= Mitteilungen der Vorderasiatischen Gesellschaft, 18,1), Leipzig 1913.
Viktor Christian, Akkader und Südaraber als ältere Semitenschichte, in: Anthropos 14/15.1919/20, [729]–739.
Viktor Christian, Altertumskunde des Zweistromlandes. Von der Vorzeit bis zum Ende der Achämenidenherrschaft. Leipzig 1940.
Viktor Christian, Die Stellung des Mehri innerhalb der semitischen Sprachen (= Sitzungsberichte / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, 222,3) Brünn/Wien [u.a.] 1944.
Viktor Christian, Untersuchungen zur Laut- und Formenlehre des Hebräischen (= Sitzungsberichte / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, 228,2), Wien 1953.
Viktor Christian, Beiträge zur sumerischen Grammatik (= Sitzungsberichte / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, 231,2), Wien 1957.
Viktor Christian,  Die Herkunft der Sumerer (= Sitzungsberichte / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, 236,1), Graz-Wien [u.a.] 1961.

Archivalien

BArch Berlin, SS-Ahnenerbe, G0115.
BArch Berlin, Reichserziehungsministerium (REM), PA Viktor Christian.

OeStA/AdR, UWK, 02/K4, Der Kurator für die wissenschaftlichen Hochschulen in Wien, Zl. 1328.
OeStA/AdR, UWK, BMU, Personalakten, PA Viktor Christian.

UAW, Institut für Orientalistik.
UAW, PA Viktor Christian.