Heigl, Paul

Paul Heigl

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29.4.1887 Marburg / Maribor, Steiermark (heute Slowenien) – 8.4.1945 Wien

auch Peter Paul Heigl

Paul Heigl studierte Geschichte und Geographie in Graz und München und promovierte 1910 an der Universität Graz. Von 1909 bis 1911 absolvierte er zudem den Kurs am Institut für Österreichische Geschichtsforschung in Wien, wo er zum Archivar und in den historischen Hilfswissenschaften ausgebildet wurde und 1912 die Stelle des Bibliothekars antreten sollte. Heigl hatte sich seit seiner Studienzeit bei "völkischen" Studentenverbindungen, wie dem "Studentenfreikorps-Wien" im Heimatschutz, engagiert. Genaueres über seine Tätigkeit ist nicht belegt, aber er selbst gab im Juni 1938 in seinem dem Gauakt beiliegenden Personalfragebogen an "ab 1932 im Nachrichtendienst für [den] Gau Wien und dann [in der] österr. Landesleitung der NSDAP in München" tätig gewesen zu sein. Zudem trat er 1933 der NSDAP sowie der SS bei und war aufgrund seiner Beteiligung am nationalsozialistischen Juli-Putsch am 12. August 1934 inhaftiert worden, was zu seiner Kündigung als Bibliothekar führte. Nachdem das deutsche Reichserziehungsministerium seine Ausreisegenehmigung in das Deutsche Reich mithilfe des österreichischen Unterrichtsministeriums erwirkt hatte, arbeitete Heigl als Bibliothekar in Greifswald und Berlin. Insofern galt er nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich aus nationalsozialistischer Sicht als besonders geeignet für die Stelle des Generaldirektors der Nationalbibliothek Wien. Ab März 1938 bekleidete er diese Funktion und zeigte, im Gegensatz zu anderen nationalsozialistischen Neubesetzungen dieser Zeit, dabei sowohl fachliches Wissen als auch Führungskompetenz. Heigl selbst war von der Personalsituation an der Nationalbibliothek Wien enttäuscht, da nur ein Mitarbeiter Mitglied der (illegalen) NSDAP war, wie er in einer ersten Besprechung mit dem Reichserziehungsministerium unmittelbar nach seiner Ernennung im März 1938 konstatierte. Die Personalveränderungen an der Nationalbibliothek Wien, an denen Heigl maßgeblich beteiligt war, begannen bereits am 16. März 1938 mit der Verhaftung von Generaldirektor Josef Bick. In den Monaten danach folgte eine Reihe von Entlassungen und Zwangspensionierungen unter den BibliothekarInnen. Aus "rassischen" Gründen wurden vier Personen pensioniert, weitere acht Personen aus politischen Gründen in den Ruhestand versetzt bzw. fristlos entlassen. Von 89 Angestellten fielen demnach zwölf der "Säuberung" zum Opfer. Um am Entzug von Büchern aus dem Eigentum von verfolgten Personen bzw. Institutionen maßgeblich teilhaben zu können, nutzte Heigl seine Verbindungen zur NS-Verwaltung, zur Gestapo und zum Sicherheitsdienst (SD) aktiver als andere Bibliotheksdirektoren seiner Zeit. Auf diese Weise gelang es ihm die Bestände der Nationalbibliothek maßgeblich zu erweitern. So kamen zwischen 1938 und 1945 an die 500.000 entzogene Druckwerke in deren Besitz. Dabei unterstützten ihn auch seine Sammlungsleiter, die bestens über die SammlerInnen und ihre Schätze Bescheid wussten. Nur ein Teil der entzogenen Bücher wurde in der Nationalbibliothek einsigniert. Heigl verteilte vor allem Dubletten in großem Stil an andere Bibliotheken und unterstützte seit 1941 gezielt den Aufbau der "Führerbibliothek" für das in Linz geplante Kunstmuseum. Zugleich bemühte er sich, die Bestände aufgelöster Bibliotheken in Österreich zu halten und deren Abtransport ins "Altreich" zu verhindern. Auch die Makulierung von Büchern durch die Gestapo und das SD-Hauptamt Wien kritisierte er mehrfach sehr offen. Im Jänner 1944 beauftragte der Kärntner Gauleiter Friedrich Rainer Heigl mit der Verteilung von Büchern vor allem aus beschlagnahmtem und in Triest eingelagertem jüdischen Umzugsgut. Daraufhin wurden tausende Bücher in der Synagoge von Triest gesammelt und von dort in erster Linie nach Kärnten gebracht. Noch im März 1945 engagierte sich Heigl in dieser Sache. Nur wenig später, Anfang April 1945, nahm sich Heigl gemeinsam mit seiner Frau das Leben. Hinweise auf eine persönliche Bereicherung Heigls aus entzogenen Beständen konnten nicht eruiert werden.

An der Nationalbibliothek Wien gab es nach Kriegsende 1945 neben den Büchern aus Triest auch viele andere unrechtmäßig erworbene Bestände. Doch nach der Restitution an zwölf Sammler, darunter Viktor Ephrussi, Moritz Kuffner und Heinrich Schnitzler in den späten 1940er-Jahren blieben tausende Bände mit nationalsozialistisch motiviertem Entzugshintergrund weiterhin in den Beständen der Bibliothek. 2003 begann an der Nationalbibliothek die systematische NS-Provenienzforschung, seither konnten insgesamt 46.866 in der Ära Heigl erworbene Objekte an ihre rechtmäßigen EigentümerInnen bzw. deren RechtsnachfolgerInnen zurückgegeben werden.

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Veröffentlichungsdatum
Publikationen zur Person / Institution

Hermann Degener, Wer ist's?, Berlin-Leipzig 1935.

Murray G. Hall/Christina Köstner, … allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern …. Eine österreichische Institution in der NS-Zeit, Wien 2006.

Hans-Gerd Happel, Das wissenschaftliche Bibliothekswesen im Nationalsozialismus. Unter besonderer Berücksichtigung der Universitätsbibliotheken, München 1989.

Ernst Klee (Hg.), Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 2005.

Christina Köstner, Paul Heigl (1887–1945), in: Karel Hruza, Österreichische Historiker 1900–1945, Wien 2008, 569–595.

Christina Köstner, Heigl, (Peter) Paul; Ps. Friedrich Hergeth (1887–1945), Bibliothekar, in: Österreichisches Biographisches Lexikon ab 1815, URL: doi.org/10.1553/0x00281d0e.

Ernst Trenkler, Die Nationalbibliothek (1923–1967), in: Josef Stummvoll/Rudolf Fiedler (Hg.), Die Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek 2, Wien 1973.

Publikationen der Person / Institution

Paul Heigl, Die diplomatischen Beziehungen zwischen Mailand und Deutschland während der Regierungszeit Friedrichs III. (1440–1493), Dissertation Universität Graz 1910.
Paul Heigl, Aus der Werkstatt der Freimaurer und Juden im Österreich der Nachkriegszeit, Graz 1927.
Paul Heigl, Studentenschaft und Heimwehr in Österreich, in: Der Student 10 (15.4.1929) 6, 4–6.

Archivalien

Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Teilnachlass Paul Heigl.

ÖNB-Archiv, Direktions-, Sammlungs- und Personalakten, 1938–1945.

OeStA/AdR, ZNsZ, Gauakt Zl. 679, Paul Heigl.

StLA, Archiv des Akademischen Corps Joannea, K. 1, H. 2: Mitgliedsbücher 1861–1910, Nr. 344: Paul Heigl.

WStLA, Gauakten, A1, Personalakten des Gaues Wien, Paul Heigl.