Schnitger, Frederic Martin

Frederic Martin Schnitger

Foto von Frederic Martin Schnitger sitzend inmitten von Megalithen
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22.4.1912 Malang, Java (heute Indonesien) – 23.4.1945 KZ Mauthausen

auch Friedrich Martin Schnitger

Frederic Martin Schnitgers Vater war Eigentümer einer Zuckerrohrplantage auf der Insel Java (damals Teil von Niederländisch-Indien), seine Mutter Lehrerin. Nach dem Schulabschluss in den Niederlanden studierte Frederic Martin Schnitger von 1932 bis 1935 an der Universität Leiden orientalische Sprachen, Archäologie und Geschichte Südostasiens. 1935 begab er sich zu archäologischen Recherchen auf die Insel Sumatra, wo er am Aufbau des Museums von Palembang mitwirkte. In der Zeit von 1935 bis 1938 pendelte er zwischen Sumatra und Europa. Sein ab 1936 an der Universität Wien fortgesetztes Studium der Archäologie und der Völkerkunde schloss er im Februar 1938 mit der Promotion ab. Die bereits 1937 in Leiden publizierte englischsprachige Version seiner Dissertation mit dem Titel The Archaeology of Hindoo Sumatra stieß in der Fachwelt auf großes Interesse, mehr noch sein 1939 erschienenes Buch Forgotten Kingdoms in Sumatra, das bis heute als wichtiger Beitrag zur Archäologie und Ethnographie Sumatras gilt. Obwohl der damals 27-Jährige bereits rund 150 wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Artikel vorweisen konnte, hatte er Probleme, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Im Jänner 1940 fand er eine – anfangs unbezahlte – Beschäftigung in der Bibliothek des Museums für Völkerkunde (MVK, heute Weltmuseum Wien), Ende 1942 eine Anstellung auf Kriegsdauer. Schnitger stand nachweislich mit der SS-Organisation Deutsche Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe in Kontakt. Maria (Ria) Horksy, seit 1934 NSDAP-Mitglied und seit 1938 im MVK angestellt, erwarb ihr Doktorat im Fach Ethnologie im Juli 1941 und übernahm schon 1942 die Leitung der Südsee- und Indonesiensammlung des Museums. Sie intrigierte gegen Schnitger, in dem sie einen unliebsamen Konkurrenten sah. Schnitger ließ seinerseits der Gestapo einen Bericht zukommen, in dem er u. a. Horsky der Spionage gegen das Deutsche Reich bezichtigte, während ihn Horsky wegen angeblicher Beschädigung eines Kleidungsstücks anzeigte. Der Direktor des MVK Fritz Röck beschuldigte Schnitger, Eigentum des Museums – Bücher, Fotos und Landkarten – entwendet und mutwillig beschädigt zu haben. Das Gausippenamt in Wien stellte fest, dass Schnitgers Urgroßmutter mütterlicherseits Chinesin gewesen war. Am 1.3.1943 wurde er festgenommen und von der Gestapo/Referat "Abwehr" erkennungsdienstlich erfasst. Das Landgericht für Strafsachen Wien sprach ihn am 14.9.1944 wegen Verleumdung, u. a. von Horsky, schuldig, vom Vorwurf des Diebstahls von Museumseigentum wegen unzureichender Beweise aber frei, und verurteilte ihn zu einem Jahr Haft. Am 22.11.1944 wurde Schnitger in "Schutzhaft" der Gestapo genommen, die ihn am 12.3.1945 in das Konzentrationslager Mauthausen überstellte. Dort kam Frederic Martin Schnitger nach seiner Einlieferung in das Sanitätslager am 23.4.1945, also kurz vor der Befreiung des KZ, ums Leben. Ria Horksy, Ende Juli 1945 wegen ihrer Zugehörigkeit zur NSDAP aus dem MVK entlassen, wurde im Februar 1949 in einer Berghütte in der Steiermark tot aufgefunden.

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Publikationen zur Person / Institution

Gabriele Anderl/Reinhold Mittersakschmöller, Gefährliches Spiel mit dem Feuer: Frederic Martin Schnitger, Archäologe und Indonesienforscher, in: Andre Gingrich/Peter Rohrbacher (Hg.), Völkerkunde zur NS-Zeit aus Wien (1938–1945), vol. 2, 687–720.

Gabriele Anderl/Ildikó Cazan-Simányi/Reinhold Mittersakschmöller, “Rivalries with Fatal Consequences,” History of Anthropology Review 46 (2022), URL: histanthro.org/notes/rivalries-with-fatal-consequences/ (14.6.2024)

Marieke Bloembergen/Martijn Eickhoff, The Politics of Heritage in Indonesia: A Cultural History, Cambridge 2020, 186–190.

Ildikó Cazan-Simány, Zum Fall Dr. Horsky: Konflikte, Rivalität und Denunziation, in: Andre Gingrich/Peter Rohrbacher, Völkerkunde zur NS-Zeit aus Wien (1938–1945), vol. 2, Wien, VÖAW, 2021, 723–740.

DÖW, Opferdatenbank des Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes, Gestapo-Opfer, politisch Verfolgte, Eintrag zu Martin Schnitger, URL: www.doew.at (5.5.2024).

John N. Miksic, Introduction to F. M. Schnitger, Forgotten Kingdoms in Sumatra (Singapore: Oxford University Press, 1989, ix. 

Publikationen der Person / Institution

Auswahl:

Frederic Martin Schnitger, Ein Beitrag zur Archäologie und Kulturgeschichte Sumatras. Dissertation, Wien 1937.

Frederic Martin Schnitger, The Archaeology of Hindoo Sumatra. Internationales Archiv für Ethnographie, Bd. 35, Supplement, Leiden 1937.

Frederic Martin Schnitger, Forgotten kingdoms in Sumatra, Leiden 1939.

Frederic Martin Schnitger, Schönes Indonesien, Stuttgart 1941.

Frederic Martin Schnitger, Madagaskar, in: Hugo A. Bernatzik (Hg.), Afrika. Handbuch der angewandten Völkerkunde, Innsbruck 1947, 1323–1334.

Archivalien

BArch Berlin-Lichterfelde, NS 21/2333 (SS-"Ahnenerbe"), Friedrich Martin Schnitger.
BArch Berlin-Lichterfelde, R 73/14448, Deutsche Forschungsgemeinschaft (SS-"Ahnenerbe"), Dr. Martin Schnitger.
BArch Berlin-Lichterfelde, R 9361-V/35501, Sammlung Berlin Document Center (BDC): Personenbezogene Unterlagen der Reichskulturkammer, Martin Schnitger.

KZ-Gedenkstätte Mauthausen/Mauthausen Memorial, Archiv, Häftlingszugangsbuch, AMM/Y 36 b; Totenbuch, AMM/Y 46 b; Häftlingsdatenbank.

OeStA/AdR, ZNsZ, Gauakt 56.952, Ria Horsky.
OeStA/AdR, BMU, 15 B 2 a, 569–43.
OeStA/AdR, UWK, BMU, Personalakten, R8/86, Ria Horsky.

WMW-Archiv, Direktionsakten, D39/N1, D39/N2, D41/N6, D41.
WMW-Wien, P/M1/9, PA Ria Horsky.

WStLA, Gauamt für Sippenforschung, A 6, Abstammungserhebungen, Frederic Martin Schnitger.
WStLA, LG für Strafsachen, A11, Vr-Strafakten, Vr 361/44, Martin Schnitger.