Arisierungsstelle der Zunft der Uhrmacher und Juweliere und der Gilde des Uhren- und Juwelenhandels

Arisierungsstelle der Zunft der Uhrmacher und Juweliere und der Gilde des Uhren- und Juwelenhandels

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Zusatzinformationen

weitere Bezeichnung: Arisierungskommission der Zunft der Uhrmacher und Juweliere und der Gilde des Uhren- und Juwelenhandels

übergeordnete Behörde: Vermögensverkehrsstelle

Noch bevor die Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz zur "listenmäßigen Erfassung der jüdischen Betriebe" am 14. Juni 1938 in Kraft trat, hatte der in Wien ansässige Uhrmacher Bartholomäus Schmid bereits damit begonnen, derartige Listen anzufertigen. Damit unternahm er laut eigenen Angaben bei der "Ersten großdeutschen Versammlung der Uhrmacher in Wien" im Jänner 1939 den Versuch, das Problem zu lösen, dass "weder beim Handel, noch bei den Zünften verlässliche Aufzeichnungen darüber existierten, nach denen lückenlos die jüdischen Betriebe" erfasst werden konnten. Parallel dazu intervenierte Schmid beim Staatskommissar in der Privatwirtschaft und Leiter der Vermögensverkehrsstelle (VVSt) Walter Rafelsberger, um die Errichtung einer für die "Betriebsarisierungen" der Branche zuständigen Institution zu erreichen. Mit Unterstützung von Rafelsberger und unter der Leitung von Schmid sollte diese als "Arisierungsstelle der Zunft der Uhrmacher und Juweliere und der Gilde des Uhren- und Juwelenhandels" im Juni 1938 in Wien 1, Schulhof 6 eingerichtet werden. Für die Sparte der UhrmacherInnen saßen Stefan Saghy und Josef Weishäupl, für jene der JuwelierInnen Karl Schwab und Othmar Halder im Gremium der "Arisierungsstelle". Stellvertretend für die VVSt agierte dort Franz Mauritz, der später durch Franz Drabek ersetzt werden sollte. Zudem entsandten die Wiener Gauleitung, die Abteilung Einzelhandel der Fachgruppe 12 (Juwelen, Gold- und Silberwaren) sowie die Kreisleitung und das Wirtschaftsamt in Wien Sachverständige, um Einfluss auf die in der "Arisierungsstelle" getroffenen Entscheidungen nehmen zu können. Zentrale Aufgabe der "Arisierungsstelle" war es, in einem ersten Schritt darüber zu befinden, ob ein als jüdisch klassifizierter Betrieb "arisiert" oder liquidiert werden sollte. Zu diesem Zweck zog das Gremium die von Schmid angefertigten Listen und Pläne sowie die von der brancheninternen buchhalterischen Überprüfungsstelle (der sogenannten Buchstelle) zur Verfügung gestellten Unterlagen zur Geschäftsgebarung des jeweiligen Unternehmens heran. In einem zweiten Schritt legte sie fest, wer einen Betrieb zu welchem Kaufpreis "arisieren" sollte. Die in der Branche tätigen "arischen" BerufskollegInnen erhielten ab Ende Juni 1938 die Möglichkeit, ihre "Arisierungsgesuche" direkt an die nunmehr dafür zuständige Stelle zu richten. Formell verfügte die "Arisierungsstelle" lediglich über ein Vorschlagsrecht gegenüber der VVSt. Dieser oblag es, die letztgültige "Arisierungsgenehmigung" zu erteilen. In der Praxis dürfte sie dem Vorschlag der "Arisierungsstelle" gefolgt sein. Bereits im Jänner 1939 verkündete Schmid, dass die "Arisierung" der Branche weitgehend abgeschlossen sei. Mehr als 100 als jüdisch klassifizierte Betriebe waren seinen Angaben zufolge "in arischen Besitz übergeleitet", die restlichen – mehr als 540 Betriebe – der Liquidation zugeführt worden. Die "Arisierungsstelle" dürfte mit der Erledigung ihrer Aufgabe, nach nur wenigen Monaten ihres Bestehens im Frühjahr 1939 ihre Aktivität wieder eingestellt haben. Die große Zahl der von ihr zur Liquidation bzw. Restabwicklung vorgesehenen Betriebe sollte jedoch die Überprüfungsstelle bzw. später "Abwicklungsstelle" der Branche sowie die Einkaufs- und Treuhandgenossenschaft (ETG) noch mehrere Jahre beschäftigen.

Die "Arisierungsstelle" war zur zentralen Instanz innerhalb der Branche avanciert, die darüber entschied, ob ein Betrieb liquidiert oder "arisiert" wurde bzw. wer die Genehmigung zur "Arisierung" erhielt, und prägte damit die Weitergabe der entzogenen Wertgegenstände. Etwa im Fall des Betriebes Ernst Steiner in Wien 7, Mariahilferstraße 62 stimmte sie dessen "Arisierung" durch den Uhrmacher Bartholomäus Schmid zu, der in weiterer Folge einzelne Objekte an das Technische Museum Wien abgab, wo sie zum Gegenstand der dort seit 1998 durchgeführten systematischen Provenienzforschung wurden, aber nicht mehr aufgefunden werden konnten. Das Unternehmen von Alexander Grosz in Wien 1, Wipplingerstraße 22 sah die "Arisierungsstelle" hingegen zur Liquidation vor. Während der Großteil seines Warenlagers der ETG übergeben wurde, erwarb das Uhrenmuseum Wien 70 Uhren aus dessen Eigentum. Aufgrund des Beschlusses der Wiener Restitutionskommission vom 1. Juli 2003 erfolgte die Restitution der 40 im Bestand des Museums verbliebenen Uhren an die RechtsnachfolgerInnen nach Alexander Grosz im Jahr 2013.

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Veröffentlichungsdatum
Publikationen zur Person / Institution

Vierter Bericht des amtsführenden Stadtrates für Kultur und Wissenschaft über die gemäß dem Gemeinderatsbeschluss vom 29. April 1999 erfolgte Übereignung von Kunst- und Kulturgegenständen aus den Sammlungen der Museen der Stadt Wien sowie der Wiener Stadt- und Landesbibliothek vom 10. November 2003 (Restitutionsbericht 2003), URL: www.wienmuseum.at/fileadmin/user_upload/PDFs/Restitutionsbericht_2003.pdf (3.12.2020).

Gabriele Anderl/Edith Blaschitz/Sabine Loitfellner/Mirjam Triendl/Niko Wahl, "Arisierung" von Mobilien (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 15), Wien-München 2004, URL: hiko.univie.ac.at/PDF/15.pdf (3.12.2020).

Ralf Banken, Edelmetallmangel und Großraubwirtschaft. Die Entwicklung des deutschen Edelmetallsektors im "Dritten Reich" 1933–1945, Berlin 2009.

N. N., Erste großdeutsche Versammlung der Uhrmacher in Wien, Redeprotokoll Bartholomäus Schmid, in: Uhrmacherkunst 64 (10.2.1939) 7, 103–104.

Archivalien

Landesarchiv Berlin, B Rep. 039-01, Nr. 333, 337, 340.

OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, Laconia-Käs.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, Gewerbe, 3127, ETG.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, Rechtsabteilung, 8973, ETG.

TMW-Archiv, Anlage zur Inv. Nr. 16094 und 16095.

WStLA, LG für Strafsachen, A11, Vr-Strafakten, Vr 5752/38, Walter Kienast, Gottfried Duda, Karl Maurer.
WStLA, M.Abt. 202, A5 - Personalakten, 1. Reihe, Bartholomäus Schmid.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 3f Vr 3121/45, Stefan Saghy u. a.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 6 Vr 6936/47, Bartholomäus Schmid.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 6c Vr 5864/46, Bartholomäus Schmid.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 7a Vr 9139/46, Othmar Kober u. a.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 8c Vr 124/53, Stefan Saghy, Karl Krepinsky.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 8e Vr 231/53, Bartholomäus Schmid.