Der Wiener Kunsthistoriker Ernst Kris war von 1927 bis 1938 als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe im Kunsthistorischen Museum in Wien tätig. 1927 heiratete er die Fachärztin für Psychiatrie Marianne Rie, deren Vater Kinderarzt und ein Freund Sigmund Freuds war. So befasste Kris sich neben seiner kunsthistorischen Tätigkeit mit Psychoanalyse und wurde gemeinsam mit seiner Frau Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Ab 1933 war er Mitredakteur der von Freud begründeten Zeitschrift Imago. Um der nationalsozialistischen Verfolgung aufgrund seiner jüdischen Herkunft zu entgehen, suchte Kris im März 1938 um Versetzung in den Ruhestand sowie um Erlaubnis zur Auswanderung nach England an. Museumsleiter Fritz Dworschak unterstützte das Auswanderungsgesuch mit Hinweis auf Kris‘ loyale Haltung, habe er doch "seine Einstellung durch Überweisung einer Reihe von wertvollen Büchern, Zeitschriften und Photographien für die einschlägige Sammlung unseres Institutes bewiesen." Kurze Zeit später konnten Ernst und Marianne Kris mit ihren beiden Kindern nach London emigrieren, wo er für die BBC die NS-Propaganda analysierte. 1940 zog die Familie weiter nach Kanada. Im September selben Jahres erhielt Kris einen Ruf als Professor an die New School for Social Research in New York. Er widmete sich nun ganz seiner zweiten Karriere als Psychoanalytiker und publizierte gemeinsam mit dem ebenfalls geflohenen Kunsthistoriker Ernst Gombrich ein grundlegendes Werk über Karikatur. Kris schrieb des Weiteren über das Lachen, über Moral und Totalitarismus sowie über die Mechanismen und Gefahren von Propaganda. 1947 versuchte er, inzwischen amerikanischer Staatsbürger, Pensionszahlungen in Österreich geltend zu machen. Sein Antrag wurde abgelehnt, erst im März 1957 gewährte das Bundesministerium für Unterricht einen "außerordentlichen Versorgungsgenuss". Dieser kam allerdings zu spät, wenige Tage zuvor war Ernst Kris gestorben.
Susanne Hehenberger, 7.1.2019