Lejeune, Fritz

Fritz Lejeune

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1.7.1892 Köln – 26.10.1966 Villach

Fritz Lejeune studierte Medizin, Zahnheilkunde und vergleichende Sprachwissenschaften an den Universitäten Bonn und Greifswald. Nach seiner 1922 erfolgten Habilitation wurde er im selben Jahr zum Privatdozent für Geschichte der Medizin an der Universität Greifswald ernannt. Schon unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg engagierte er sich innerhalb nationalsozialistischer und völkischer Verbände und trat laut eigener Angabe bereits 1923 der NSDAP bei. 1927 erhielt er einen Lehrauftrag für Geschichte der Medizin an der Universität Köln, 1928 wurde er dort zum ao. Professor ernannt. 1925 hatte er zudem die Reichsnotgemeinschaft Deutscher Ärzte mitbegründet, wo er seitdem als Vorsitzender fungierte. Seine Einbindung in das Netzwerk der NS-Medizinbürokratie und vor allem seine Stellung in zahlreichen internationalen medizinhistorischen Gremien machte ihn zu einem Proponenten des NS-Außenpolitik und des Propagandaministeriums. Mit seiner Ernennung zum Direktor des Wiener Institutes für die Geschichte der Medizin, dessen bisheriger Leiter Max Neuburger war wegen seiner jüdischen Herkunft vertrieben worden, erreichte Lejeune den "Höhepunkt" seiner Karriere. Durch Lejeune kam es zwischen 1940 und 1945 zu einer beträchtlichen Erweiterung des Bibliotheksbestandes am Institut – der heutigen Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin. Diese Zuwächse resultierten zum einen aus der üppigen finanziellen Förderung, die das Institut ab 1940 durch das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten erfuhr. Zum anderen wurden sie durch Lejeunes Erwerbungspolitik gefördert, der sich ungeniert im Bestand Wiener Antiquariate, welche am boomenden NS-Bücherraub bzw. an "Arisierungen" beteiligt waren, bediente. Unter diesen bevorzugte er das durch mehrfache "Arisierungen" und Liquidierungen von Antiquariaten 1938/39 hervorgegangene Wiener Antiquariat Alfred Wolf. Neben seiner Tätigkeit am Institut engagierte sich Lejeune zwischen 1940 und 1944 als Berater und Vermittler beim Aufbau von medizinhistorischen Bibliotheken sowie als Lieferant medizinhistorischer Bücher, wofür er seine Kontakte zu Wiener Antiquariaten anbot. So vermittelte er etwa Inkunabeln einer medizinhistorischen Bibliothek an den Pharmakonzern Boehringer & Sohn oder medizinhistorische Literatur an das Physiologische Institut in Heidelberg. Besonders intensiv arbeitete Lejeune mit der Kärntner NS-Führung, insbesondere mit dem Gauleiter Friedrich Rainer und dessen Berater Walter Medweth im Rahmen der vom NS-Regime pompös begangenen Paracelsus-Gedenk-Feiern 1941 in Villach zusammen. In den Folgejahren sollte er dort zudem am Aufbau eines Paracelsus-Museums, als Kern eines geplanten medizinhistorischen Forschungsinstituts, mitwirken.

Nach seiner Flucht aus Wien im Frühjahr 1945 erfolgte am 10. Mai 1945 seine Suspendierung durch das Dekanat der Medizinischen Fakultät Wien. Das Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten enthob Lejeune im Juni 1945 seiner Stellung. Festgenommen durch das US-Militär wurde er bis Ende 1946 im Lager Glasenbach bei Salzburg interniert und anschließend nach Deutschland abgeschoben. Seine Bemühungen in Deutschland im universitären Betrieb wieder Fuß zu fassen blieben erfolglos. Er trat ab 1953 als Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender des Deutschen Kinderschutzes gegen die seiner Meinung nach stattfindende "Verwahrlosung" der Jugend in der Bundesrepublik Deutschland durch die Übernahme US-amerikanischer Lebensformen auf. 1952 wurde er zum Senator der Deutschen Gesellschaft für Wissenschaft und Forschung ernannt, war maßgeblich an der Gründung der Deutschen Angestellten-Krankenkasse beteiligt und seit Mitte der 1950er-Jahre in der frühen Antiatombewegung aktiv. 1965 übersiedelte Lejeune nach Villach, wo er 1966 verstarb.

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Publikationen zur Person / Institution

Walter Mentzel/Bruno Bauer, Brüche in der Entwicklung medizinischer Bibliotheken in Wien während des NS-Regimes: Anmerkungen zur Geschichte der Vorgängerbibliotheken der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien, in: Gertrude Enderle-Burcel/Alexandra Neubauer-Czettl/Edith Stumpf-Fischer (Hg.), Brüche und Kontinuitäten 1933–1938–1945. Fallstudien zu Verwaltung und Bibliotheken (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs Sonderband 12), Innsbruck 2013, 287–314.
Walter Mentzel/Bruno Bauer, Stumme Zeitzeugen. Medizinische und medizinhistorische Bibliotheken an der Medizinischen Universität Wien während der NS-Zeit, in: Stefan Alker/Christine Köstner/Markus Stumpf (Hg.), Bibliotheken in der NS-Zeit. Provenienzforschung und Bibliotheksgeschichte, Göttingen 2008, 273–287.

Klaus Schmierer, Medizingeschichte und Politik. Karrieren des Fritz Lejeune in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus (= Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 96), Husum 2002.

Archivalien

Sammlungen der Medizinischen Universität Wien, Archiv, Ordner Boehringer.
Sammlungen der Medizinischen Universität Wien, Archiv, Ordner Boehringer, Ordner Paracelsus-Ausstellung.
Sammlungen der Medizinischen Universität Wien, Archiv, Handschriften, K. 2.254.

UAW, Med.Fak., PA Lejeune.
UAW, Med.Fak., Dekanat, Zl. 323/1941–42.
UAW, Med.Fak., Dekanat, Zl. 455/1939–40.