Kammerer, Marcel

Marcel Kammerer

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4.11.1878 Wien – 25.12.1959 Montreal oder Quebec, Kanada

auch Marcell Kammerer

Marcel Kammerer studierte von 1898 bis 1902 an der Akademie der bildenden Künste in Wien Architektur bei Otto Wagner. Nach Studienreisen durch Europa und Ägypten war er bis 1910 als Chefzeichner in Wagners Atelier tätig und hatte maßgeblichen Anteil etwa am Bau der Kirche am Steinhof oder der Wiener Postsparkasse. Er nahm von 1914 an Privatunterricht bei dem Maler Franz Rumpler und arbeitete bis 1919 mit seinen Studienkollegen Emil Hoppe und Otto Schönthal als selbständiger Architekt in einer Ateliergemeinschaft zusammen. 1920 wurde ihm für seine Verdienste als Architekt der Berufstitel eines Baurates verliehen. Auf Vorschlag des Vizepräsidenten Leopold Blauensteiner wählte die Generalversammlung des Zentralverbandes bildender Künstler Österreichs Kammerer 1935 in ihren Vorstand.

Kurz nach dem "Anschluss" Österreichs wurde Kammerer geschäftsführender Stellvertreter des Generalbeauftragten für bildende Kunst des Landeskulturamtes der NSDAP Österreichs Leopold Blauensteiner sowie Geschäftsführer und stellvertretenden Leiter der Landesleitung der Reichskammer der bildenden Künste, Gau Wien, die dem Reichspropagandaministerium in Berlin unterstand. Alle geplanten Kunstausstellungen bedurften fortan der Genehmigung durch Blauensteiner beziehungsweise Kammerer. Beide besaßen in ihren Funktionen nicht nur wesentlichen Einfluss auf die Kunstschaffenden, sondern auch auf die Entwicklungen im Kunst- und Antiquitätenhandel und dessen "Gleichschaltung" im Sinne des Nationalsozialismus. Sie hatten bei der Enteignung von Betrieben dieser Branche, vor allem bei der Auswahl von kommissarischen VerwalterInnen und "AriseurInnen", ein gewichtiges Wort mitzureden. Landschaftsbilder von Kammerer waren in der im August 1938 eröffneten Ausstellung Die Kunst der Ostmark im Berliner Haus der Kunst vertreten. Im selben Monat würdigte ihn der Völkische Beobachter als "Typus des aufrechten Kämpfers für die Reinerhaltung der Kunst in der Ostmark", der schon von 1933 bis 1938 "unschätzbare Vorarbeit für den Durchbruch der nationalsozialistischen Kulturauffassung" geleistet habe. Kammerer wurde in diesem Artikel als "Parteigenosse" bezeichnet, allerdings bleibt die Frage seiner Mitgliedschaft in der NSDAP aufgrund fehlender Unterlagen unklar. Kammerers Einfluss auf die "Arisierungen" und Abwicklungen im Bereich der Kunsthandelsbranche lässt sich an einer Reihe von Beispielen nachweisen. So bestellte er im November 1938 den Kunsthistoriker Robert Grehs zum Unterbevollmächtigten bzw. kommissarischen Verwalter für den zur Liquidation vorgesehenen Betrieb von Ignatz Pick, danach überwachte er die Abverkäufe von dessen Waren. Später befürwortete Kammerer die Übernahme des Geschäfts durch zwei "Ariseurinnen". Das Verhältnis zwischen der für "Arisierungen" zuständigen Vermögensverkehrsstelle (VVSt) und der Landesleitung der Reichskammer gestaltete sich dabei keineswegs spannungsfrei. So beanstandete Kammerer im Fall der Galerie Harding Anfang 1939, dass der Eigentümer nach wie vor in seinem Geschäft tätig und die Reichskammer "als die für die Kunsthandelsgeschäfte zuständige Stelle" bei der Bestellung der "Ariseurin" durch die VVSt übergangen worden sei.

1946 gab Kammerer, aus gesundheitlichen Gründen und weil er nach eigenen Angaben nur noch als Maler tätig war, die Rücklegung seiner Befugnis als Architekt bekannt. Wenig später emigrierte er nach Kanada, wo er 1959 in Montreal (anderen Angaben zufolge in Quebec) starb.

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Publikationen zur Person / Institution

Dr. G., Maler der Ostmark. Marcell Kammerer, in: Der Völkische Beobachter, Wiener Ausgabe, 7.8.1938, 9, URL: anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=vob&datum=19380807&seite=9 (3.12.2020).

Waldemar Hartmann, "Die Kunst der Ostmark". Feierliche Eröffnung der großen Ausstellung im Berliner "Haus der Kunst", in: Der Völkische Beobachter, Wiener Ausgabe, 28.8.1938, 9, URL: anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=vob&datum=19380828&seite=9 (3.12.2020).

N. N., Die Neuordnung bei der bildenden Kunst, in: Neues Wiener Tagblatt, 20.3.1938, 16, URL: anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nwg&datum=19380320&seite=16 (3.12.2020).

N. N., Generalversammlung des Zentralverbandes bildender Künstler, in: Der Tag, 5.6.1935, 7, URL: anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=tag&datum=19350605&seite=7 (3.12.2020).

Ursula Prokop, Marcel Kammerer, in: Architektenlexikon Wien 1770–1945, URL: www.architektenlexikon.at/de/271.htm (3.12.2020).

Archivalien

OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, H. 2272, Galerie Harding.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, K. u. Tr. 12.016.