Einkaufs- und Treuhandgenossenschaft für die Uhren- und Juwelenbranche

Einkaufs- und Treuhandgenossenschaft für die Uhren- und Juwelenbranche (ETG)

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Zusatzinformationen

weitere Bezeichnung: Einkaufs- und Treuhandgenossenschaft für die Uhren- und Juwelenbranche registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung

übergeordnete Behörde: Vermögensverkehrsstelle

Auf Initiative des Leiters der "Arisierungsstelle" Bartholomäus Schmid und des Zunftmeisters Konrad Schalk sowie mit Unterstützung des Staatskommissars in der Privatwirtschaft Walter Rafelsberger und des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich Josef Bürckel erfolgte am 5. August 1938 die Gründung der Einkaufs- und Treuhandgenossenschaft (ETG) mit Sitz in Wien 1, Schwedenplatz 2. Laut Statut hatte sie die "Förderung der Arisierungsbestrebungen in der Uhren- und Juwelenbranche" zum Ziel und sollte konkret für die Übernahme und den Weiterverkauf der Warenbestände aus liquidierten Betrieben der Branche zuständig sein. In der konstituierenden Generalversammlung der ETG wurden die Uhrmacher Konrad Schalk und Josef Weishäupl zum Obmann bzw. Obmannstellvertreter und der Diplomkaufmann Fritz Langauer zum Geschäftsführer der Genossenschaft gewählt. Für den Aufsichtsrat nominierte die Generalversammlung Bartholomäus Schmid sowie den Leiter der "Oberaufsicht der kommissarischen Verwalter in der Uhren- und Juwelenbranche" Stefan Saghy und den Juwelen- und Goldwarengrossisten Hans Anderl, den Vorsitz übernahm Schmid. Zudem entsandte Rafelsberger den stellvertretenden Leiter der Abteilung Handwerk der Vermögensverkehrsstelle (VVSt) Franz Mauritz in den Aufsichtsrat der ETG. Diese Funktion sollte im Februar 1939 Arnold Kött und Ende 1939 Fridolin Puhr übernehmen. Die Uhrmacher Stefan Saghy und Josef Weishäupl waren für die Einbringung der liquidierten Warenlager in die Depots der ETG zuständig, ab November 1938 unterstützte sie der Gestapo-Beamte Rudolf Gruber. Vor dem Weiterverkauf der Waren erfolgten zwei Bewertungen durch beeidete Schätzmeister der ETG: eine erste niedrige legte den Liquidations-und eine zweite höhere den Weiterverkaufswert fest. Die dazwischen liegende Gewinnspanne floss der ETG zu.

Waren aus den liquidierten Beständen zu kaufen, blieb den Mitgliedern der ETG exklusiv vorbehalten. Laut § 3 der Statuten konnte "jeder gewerbeberechtigte Juwelier, Gold- und Silberschmied, Uhrmacher, Metallschläger, Edelsteinschleifer, Goldwaren- und Edelsteinhändler arischer Abkunft" Mitglied werden. Dies galt auch für branchenfremde, "arische" Personen "insoweit sie die Ziele und Zwecke der Genossenschaft zu fördern geneigt" waren. Die Mitgliederanzahl stieg bis Ende 1939 auf mehr als 350 Personen. Bis zum 31. Dezember 1939 erwarben die GenossenschafterInnen der ETG bei selbiger Waren im Wert von mehr als 3 Millionen Reichsmark, zumindest bis Ende 1941 konnte der Gesamtumsatz noch erheblich gesteigert werden. Im Jänner 1942 erfolgte schließlich die vorläufige Ruhendstellung der ETG, nachdem sie die Verwertung der liquidierten Warenbestände erfolgreich durchgeführt hatte. Den bis zu diesem Zeitpunkt erwirtschafteten Reingewinn von rund 1 Million Reichsmark führte sie gemäß § 26 ihrer Statuten an die VVSt ab. Die endgültige Liquidation der ETG wurde auf die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vertagt, bis dahin sollte sie noch für "karitative" Zwecke, wie die Wecker- und Uhrensammlung für eingerückte Soldaten, zur Verfügung stehen. Die in den Räumlichkeiten der ETG angelegte umfangreiche KundInnen- und Warenkartei verbrannte laut Geschäftsführer Othmar Kober am Ende des Zweiten Weltkrieges. Als reichsweites Unikum war die ETG im Prozess der "Arisierung" der Wiener Uhren- und Juwelenbranche zentraler Umschlagplatz der Warenbestände liquidierter Unternehmen. Hatte die "Arisierungsstelle" einen Betrieb zur Liquidation vorgesehen, so übernahm die ETG dessen Warenbestände bzw. deren weitere Verwertung und Verteilung unter ihren GenossenschafterInnen. Dass einzelnen Institutionen aber hier dennoch die Gelegenheit geboten wurde, sich direkt an den entzogenen Vermögenswerten zu bedienen, zeigt exemplarisch der Fall Alexander Grosz. Aus dessen bereits zur Liquidation vorgesehenen Warenbeständen erwarb das Wiener Uhrenmuseum noch 70 Uhren. 2003 beschloss die Wiener Restitutionskommission die Rückgabe der 40 erhaltenen Exemplare an Grosz' RechtsnachfolgerInnen, die 2013 erfolgte.

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Publikationen zur Person / Institution

Vierter Bericht des amtsführenden Stadtrates für Kultur und Wissenschaft über die gemäß dem Gemeinderatsbeschluss vom 29. April 1999 erfolgte Übereignung von Kunst- und Kulturgegenständen aus den Sammlungen der Museen der Stadt Wien sowie der Wiener Stadt- und Landesbibliothek vom 10. November 2003 (Restitutionsbericht 2003), URL: www.wienmuseum.at/fileadmin/user_upload/PDFs/Restitutionsbericht_2003.pdf (3.12.2020).

Gabriele Anderl/Edith Blaschitz/Sabine Loitfellner/Mirjam Triendl/Niko Wahl, "Arisierung" von Mobilien (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 15), Wien-München 2004, URL: hiko.univie.ac.at/PDF/15.pdf (3.12.2020).

Ralf Banken, Edelmetallmangel und Großraubwirtschaft. Die Entwicklung des deutschen Edelmetallsektors im "Dritten Reich" 1933–1945, Berlin 2009.

N. N., Erste großdeutsche Versammlung der Uhrmacher in Wien, Redeprotokoll Bartholomäus Schmid, in: Uhrmacherkunst, 64 (10.2.1939) 7, 103–104.

Archivalien

Landesarchiv Berlin, B Rep. 039-01, Nr. 333, 337, 340.

OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, Laconia-Käs.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, Gewerbe, 3127, ETG.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, Rechtsabteilung, 8973, ETG.

WStLA, LG für Strafsachen, A11, Vr-Strafakten, Vr 5752/38, Walter Kienast, Gottfried Duda, Karl Maurer.
WStLA, M.Abt. 202, A5 - Personalakten, 1. Reihe, Bartholomäus Schmid.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 3f Vr 3121/45, Stefan Saghy u. a.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 6 Vr 6936/47, Bartholomäus Schmid.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 6c Vr 5864/46, Bartholomäus Schmid.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 7a Vr 9139/46, Othmar Kober u. a.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 8c Vr 124/53, Stefan Saghy, Karl Krepinsky.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 8e Vr 231/53, Bartholomäus Schmid.