Reichmann, Alois, Buch- und Antiquariatshandlung

Buch- und Antiquariatshandlung Alois Reichmann

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Der aus Böhmen stammende Alois Reichmann gründete 1896 mit seiner Ehefrau Emilie, née Löwy, die Buch- und Antiquariatshandlung Alois Reichmann in Wien 4, Wiedner Hauptstraße 18–20. Die Firma mit dem Schwerpunkt auf natur-, kunst- und geisteswissenschaftlichen Themen und alten Drucken entwickelte sich rasch zu einem der größten Antiquariate in Wien mit einem Warenlager von rund 400.000 Büchern. 1927 trat der gemeinsame Sohn Felix Reichmann als Gesellschafter in die Offene Handelsgesellschaft ein und führte sie nach dem Tod von Alois Reichmann am 27. September 1936 gemeinsam mit seiner Mutter Emilie Reichmann fort.

Nach dem "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich war die Familie Reichmann aufgrund ihrer jüdischen Herkunft der NS-Verfolgung ausgesetzt. Der seit 1922 im Unternehmen beschäftigte Karl Günther denunzierte seinen Vorgesetzten Felix Reichmann und den seit 1929 im Unternehmen tätigen Mitarbeiter Hans Edelmann bei der Gestapo. Daraufhin kam es zur Verhaftung von Edelmann und noch im März 1938 zur Deportation von Felix Reichmann ins KZ Dachau, von wo er im Februar 1939 ins KZ Buchenwald überstellt werden sollte. Karl Günther, seit 1934 Mitglied der NSDAP, übernahm im April 1938 die kommissarische Leitung des Unternehmens Reichmann. Er veranlasste umgehend erste Verlagerungen und Veräußerungen wertvoller Buchbestände und ließ die verbliebenen durch die Gestapo sichten und teilweise konfiszieren (u. a. Judaica, sozialistische und psychoanalytische Literatur). Die Genehmigung der Vermögensverkehrsstelle zur "Arisierung" der Firma erhielt am 26. Oktober 1938 Johannes Katzler zu einem "Kaufpreis" von 27.350 Reichsmark. Günther schied als kommissarischer Verwalter am 2. Dezember 1938 aus dem Unternehmen aus, die Firma Alois Reichmann wurde am 18. November 1940 aus dem Handelsregister gelöscht. In das Warenlager der Firma Alois Reichmann verlagerte Katzler Bestände der entzogenen Buchhandlungen von Richard Lányi, Moritz Perles, Josef Kende, Max Breitenstein, Carl Wilhelm Stern und Heinrich Saar. Felix Reichmann floh nach seiner Freilassung aus Buchenwald in die USA, Emilie Reichmann nach England. Hans Edelmann gelang nach seiner Entlassung aus der "Schutzhaft" zunächst die Flucht nach England, wo er interniert und danach nach Australien überstellt und wiederum interniert werden sollte. Seine Frau Helene, die aus Sicht des NS-Regimes keine Jüdin war, blieb in Wien zurück und erhielt Berufsverbot.

Nach dem Krieg stellte das Polizeikommissariat Wieden die Buchhandlung sicher, im September 1945 konnte sie wieder eröffnet werden und stand ab Oktober 1945 unter öffentlicher Verwaltung von Elvira Grosz, Tochter des verstorbenen Josef Kende, und Otto Kerry, eines langjährigen Angestellten der Firma Reichmann. Am 12. Oktober 1946 löste der aus Australien zurückgekehrte und von Reichmann zur Geschäftsführung der Firma bevollmächtigte Hans Edelmann, Kerry als öffentlichen Verwalter ab. Edelmann und Grosz versuchten auf dem Wege einer Durchsicht der Restbestände ihre ehemaligen Bücher zu identifizieren. Dies erwies sich jedoch mangels Aufzeichnungen über die aus den verschiedenen "arisierten" Warenlagern zusammengeführten Buchbestände und wegen der großen Verluste durch Verschleppungen und Abverkäufe als unergiebig. Nur ein kleiner Teil der Reichmann, Stern, Perles, Lányi u. a. zuordenbaren und an die ErbInnen rückgestellten Bücher findet sich auf den nach 1945 angefertigten Listen. Günther wurde vom Volksgericht Wien am 7. Juni 1947 wegen Denunziation (§7 Kriegsverbrechergesetz) schuldig gesprochen und zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Im Jänner 1949 erfolgte seine Entlassung. Die "Arisierung" der Firma Reichmann war Gegenstand eines gegen Katzler anhängigen Volksgerichtsverfahrens, das im Mai 1947 zum Urteil 18 Monate Haft und Vermögensverfall führte, u. a. wegen missbräuchlicher Bereicherung (§ 6 KVG). Emilie Reichmann, die 1949 aus England nach Wien zurückkehrte, hatte bereits im September 1947 nach dem Zweiten Rückstellungsgesetz einen Antrag auf Restitution der Firma und der Warenbestände gestellt. Sie verstarb noch vor Beendigung des Verfahrens am 21. Juli 1950. Felix Reichmann, seine Schwester Lisbeth, verheiratete Danbury, und Hans Edelmann erhielten mit Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland vom 26. April 1951 die Buchhandlung Alois Reichmann zurück. Hans Edelmann und dessen Sohn sollten das Unternehmen bis 2011 an ihrem 1896 gegründeten Standort weiter führen.

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Publikationen zur Person / Institution

Katja Bertz, "Arisierung" im österreichischen Buchhandel. Auf den Spuren der Buchhandlungen Richard Lányi, Alois Reichmann, Josef Kende, Moritz Perles, M. Breitenstein, Heinrich Saar und Dr. Carl Wilhelm Stern, Diplomarbeit Universität Wien 2009.

Sigrid Buchhas, Der österreichische Buchhandel im Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Geschichte des Buchhandels unter besonderer Berücksichtigung Wiens, Diplomarbeit Universität Wien 1993.

Archivalien

OeStA/AdR, E-uReang, FLD, 15063-18/51, Emilie Reichmann.
OeStA/AdR, E-uReang, FLD, 19685, Emilie Reichmann.
OeStA/AdR, E-uReang, Hilfsfonds, Abgeltungsfonds 8710, Emilie Reichmann.
OeStA/AdR, E-uReang, Hilfsfonds, Abgeltungsfonds 8709, Felix Reichmann.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt. VA 2339, Alois Reichmann.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA 43035, Emilie Reichmann.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA 30250, Felix Reichmann.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, Statistik 1890, Alois Reichmann
OeStA/AdR, ZNsZ, Gauakt 50484, Johannes Katzler.

WStLA, Handelsregister Wien, MA 8, A13, 75a, Alois Reichmann, Buchhandlung.
WStLA, M.Abt. 119, A 25, ÖVA, Handel, Gewerbe 1945-1950-142 Alois Reichmann.
WStLA, M.Abt. 119, A41 – VEAV 6, 4. Bez., Felix Reichmann.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 1e Vr 7370/46, Karl Günther.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg Vr 5194/46, Johannes Katzler.