Arisierungskommission der Wiener Photographeninnung

Arisierungskommission der Wiener Photographeninnung

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weitere Bezeichnung: Arisierungskommission der Wiener Photographenzunft

Seit der Ausschaltung des Parlaments 1933/34 und in den darauf folgenden Jahren des Austrofaschismus infiltrierten (illegale) Mitglieder der NSDAP die Verbandsstrukturen und Gremien der gesetzlichen Interessensvertretungen und Gewerbeorganisationen der FotografInnen. Gleichzeitig nahm die Zahl der jüdischen FotografInnen in den Funktionsorganen der gewerblichen Berufsverbände ab. Jene schon vor 1938 innerhalb der Gremien der Wiener Fotografenzunft aktiven NationalsozialistInnen übernahmen unmittelbar nach dem "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich leitende Funktionen in der Zunft. Sie bildeten zur Ausschaltung der jüdischen FotografInnen eine "Arisierungskommission", die ihre Tätigkeit auf der Basis bereits existierender "Planungslisten" aufnahm. Jene "Planungslisten" enthielten die zur Liquidierung oder "Arisierung" vorgesehenen jüdischen Betriebe. Bei den Kommissionsmitgliedern handelte es sich um eine informelle, innerhalb der Zunft bestehende Gruppe von Fotografen, die sich aus den neu bestellten Führungsorganen, den Beiräten und sogenannten "Vertrauensmännern" der Zunft zusammensetzte. Sie sollte in den folgenden Monaten eine wesentliche Steuerungsfunktion beim Prozess der "Arisierungen" übernehmen. Vorsitzender der Kommission war der nach dem "Anschluss" zum kommissarischen Zunftmeister bestellte und im Oktober 1938 zum Bezirksinnungsmeister des Fotografenhandwerks für die Ostmark ernannte Egon Jelinek. Den Beirat der Zunft bildeten der Industriefotograf Karl Rudolf Scherb, sowie der von Jelinek als Zunftmeister abgelöste Silverius Frey und Josef A. Detoni, der 1938 zum Sekretär der Bezirksstelle Ostmark der Zunft aufsteigen sollte. Ebenso gehörten Gustav Nohynek, der 1940 Jelinek in der Funktion des Obermeisters der Zunft bzw. Innung folgen sollte, sowie der seit 1936 als Sekretär der Fotografenzunft tätige Franz Brandstätter dem Gremium an. Als "Vertrauensmänner" fungierten der "Blutordensträger" Roland Blumentritt sowie Heinrich Schuhmann. Zu den Aufgaben der Kommission gehörte die Auswahl der zu liquidierenden Betriebe, womit vor allem die Optimierung der Erwerbsmöglichkeiten durch eine Verringerung der Konkurrenzbetriebe innerhalb des Gewerbes hergestellt werden sollte. Zugleich verfügte sie gegenüber der ihr übergeordneten Vermögensverkehrsstelle über ein Einspruchs- und Vorschlagsrecht, was die Auswahl von aus ihrer Sicht geeigneten ÜbernahmekandidatInnen bei "Arisierungen" betraf und von dem sie in der Regel auch Gebrauch machte. Sie erzwang von den jüdischen FotografInnen die Rückgabe der Gewerbeberechtigungen und erstellte im Verlauf der "Arisierungen" sogenannte Begleitprotokolle zur Dokumentation des "Verhaltens der Juden". Parallel zu ihren Funktionen in der "Arisierungskommission" waren deren Mitglieder als Schätzmeister bei "Arisierungen" und Liquidierungen von Betrieben sowie als kommissarische Verwalter tätig. Sie schüchterten jüdische FotografInnen ein, übten Gewalt aus, denunzierten bei der Gestapo und bereicherten sich persönlich, wie aus verschiedenen Quellen hervorgeht.

1938 existierten zirka 700 gewerbebehördlich angemeldete FotografInnen (ohne Fotohandlungen) in Wien, wovon viele ihren Beruf aufgrund der jahrelang anhaltenden Wirtschaftskrise in ihren Wohnungen ausübten. Bereits ab April 1938 wurden alle liquidierten und "arisierten" Betriebe bzw. jene, denen die Gewerbeberechtigung entzogen worden war, in der von Detoni herausgegebenen Verbandszeitschrift Allgemeine photographische Zeitung dokumentiert. Im Juli 1939 folgte dort eine quantitative Aufstellung der von den "Arisierungsmaßnahmen" betroffenen Unternehmen, der zur Folge von 184 als jüdisch klassifizierten Betrieben 39 "arisiert" und 145 liquidiert worden waren. Damit verschwanden wertvolle Fotoausrüstungen und über Jahrzehnte gewachsene Fotoarchive durch Verschleppungen der "AriseurInnen", durch Plünderungen und durch Vermögensentziehungen. Aus dem Kreis der Mitglieder der "Arisierungskommission" mussten sich nach 1945 lediglich Jelinek, Blumentritt und Nohynek vor einem Volksgericht wegen § 10 und § 11 des Verbotsgesetzes ("Illegalität" bzw. qualifizierte "Illegalität") sowie § 3 (Quälerei und Misshandlung), § 4 (Verletzungen der Menschlichkeit und der Menschenwürde) und § 6 und § 7 des Kriegsverbrechergesetzes (missbräuchliche Bereicherung und Denunziation) verantworten. Sie alle übten nach Verbüßung ihrer Haftstrafen ihr Fotografengewerbe weiter aus.

 

Aus dem Projekt Durch das NS-Regime aus Österreich vertriebene und ermordete Fotografinnen und Fotografen und der Verbleib ihrer fotografischen Sammlungen (Gefördert vom Nationalfonds der Republik Österreich. Durchgeführt von Dr. Walter Mentzel).

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Publikationen zur Person / Institution

Kurzberichte, in: Allgemeine photographische Zeitung (1939) 7, 1, URL: anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=phz&datum=1939&page=91 (3.12.2020).

Joseph A. Detoni, Österreichisches-Photo-Adressbuch, Wien 1934–1937.

Archivalien

Archiv der Wirtschaftskammer Österreich, Gewerbeakt, Egon Jelinek.
Archiv der Wirtschaftskammer Österreich, Gewerbeakt, Roland Blumentritt.

OeStA/AdR, BKA, Zl. 210.199/12-2N/57, Egon Jelinek.
OeStA/AdR, E-uReang, FLD, 40774 Maximilian Birnbaum.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, Gewerbe, 1189, Franz Löwy.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, Gewerbe, 1306, Willi Pollak.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, Gewerbe, 4060, Nachim Chefez.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, Gewerbe, 4066, Oskar Weitzmann.
OeStA/AdR, Präsidentschaftskanzlei, Zl. 15601/55, Egon Jellinek.
OeStA/AdR, Präsidentschaftskanzlei, Zl. 1633/57, Egon Jellinek.
OeStA/AdR, ZNsZ, Gauakt 7.310, Gustav Nohynek.
OeStA/AdR, ZNsZ, Gauakt 12.296, Silverius Frey.
OeStA/AdR, ZNsZ, Gauakt 12.281, Maximilian Kretschek.
OeStA/AdR, ZNsZ, Gauakt 14.965, Josef A. Detoni.
OeStA/AdR, ZNsZ, Gauakt 59.101, Karl Scherb.

WStLA, Gauakten, A1, Personalakten des Gaues Wien, Josef A. Detoni.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 12 Vr 3617/47, Jelinek Egon.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 1h Vr 6587/47, Alfred Wenzl, Egon Jelinek, Gustav Nohynek.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 1 Vr 4635/45, Gustav Nohynek, Johann Poppovic.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg Vr 2537/47, Gustav Nohynek, Johann Poppovic.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 1h Vr 6587/47, Alfred Wenzl, Egon Jelinek, Gustav Nohynek.
WStLA, Volksgericht, A1, Vg 5a Vr, 7275/48 Roland Blumentritt.