Freund, Julius

Julius Freund

Porträt, Schwarz-Weiß-Reproduktion eines Gemäldes
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18.4.1869 Cottbus – 12.3.1941 Wigton, England

Nach der Hochzeit mit der Kaufmannstochter Clara Dresel (1878–1947) stieg Julius Freund 1902 als Mitinhaber in die von seinem Schwiegervater gegründete Damenkonfektionsfirma Wilhelm Dresel in der Niederwallstraße 13 in Berlin ein. Gemeinsam mit den Kindern Hans Max (geb. 1905) und Gisela (geb. 1908, als Fotografin unter dem Namen Gisèle Freund berühmt geworden) lebten sie in Berlin-Schöneberg. Sein Vermögen legte Freund in Kunst an und stellte, u. a. beraten vom Direktor der Berliner Nationalgalerie Guido Josef Kern, im Laufe der Jahrzehnte eine in Kunstkreisen sehr geschätzte Sammlung insbesondere von Werken der deutschen Romantik zusammen. Neben über 20 Ölgemälden von Carl Blechen und drei Bildern von Caspar David Friedrich besaß er rund 500 weitere Werke, u. a. von Daniel Chodowiecki, Hans von Marées, Adolph von Menzel, Wilhelm Trübner und Heinrich Rudolf Zille. Mit vielen KünstlerInnen, wie Käthe Kollwitz und Hans Thoma, war Freund zudem persönlich bekannt bzw. befreundet; Max Liebermann und Max Slevogt fertigten Porträts von ihm an. Infolge der Wirtschaftskrise und der Liquidierung seiner Firma in finanzielle Nöte geraten, verkaufte er 1930 Friedrichs Kreidefelsen auf Rügen an den Schweizer Sammler Oscar Reinhart in Winterthur. Als er außerdem seine Sammlung als Leihgabe dem Kunstmuseum Winterthur überlassen wollte, akzeptierte dieses im Oktober 1931 nur drei Gemälde und ein Aquarell von Carl Blechen. Mit der NS-Machtübernahme in Deutschland übernahm das Museum auf Vermittlung des Berliner Kunsthändlers Fritz Nathan 360 Kunstwerke als Dauerleihgaben, zu denen in den folgenden Jahren noch weitere hinzukommen sollten. Beinahe zeitgleich mit der Deponierung gab der Sammler die Verfügungsgewalt über seine Werke ab. Am 17. Dezember 1933 schenkte Julius Freund die Kunstsammlung seiner Tochter Gisela, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Paris aufhielt, zum 25. Geburtstag. Dazu ist allerdings zu bemerken, dass zumindest Teile der Sammlung seit 1927 offenbar im Eigentum von deren Mutter Clara gestanden hatten, der Julius Freund die Werke als Ausgleich ihrer Erbansprüche an der Firma ihres Vaters überschrieben hatte. Giselas Eigentümerinnenschaft stellte Clara Freund in den erhaltenen Quellen jedoch nicht infrage.

Die Situation der Familie, die jüdischer Herkunft war, verschlechterte sich zusehends. Beide Kinder, die sich in linksoppositionellen Kreisen bewegten, ergriffen früh die Flucht aus Deutschland: Während Gisela Freund im Mai 1933 nach Paris ging, wo sie drei Jahre später Pierre Blum ehelichte und damit die französische Staatsbürgerschaft erlangte, emigrierte Hans Freund nach England, wohin er seine Eltern nachzuholen versuchte. Diese schickten ab 1936 sukzessive Möbel und anderen Hausrat zu ihm nach Elsworth. Nach Claras Entlassung aus einem Frauengefängnis, wo sie 1938 mindestens einen Monat aufgrund eines Zollvergehens inhaftiert gewesen war, stellten Julius und Clara Freund ihren Auswanderungsantrag, dem im Februar 1939 stattgegeben wurde. Damit konnten sie noch rechtzeitig ausreisen und sich in London niederlassen. Alle Familienmitglieder wurden 1940 von den Kriegsereignissen eingeholt: Nachdem Gisela Freund infolge der ersten Luftangriffe Anfang Juni aus Paris in den Süden Frankreichs geflohen war, erlitt ihr Vater während der Bombenangriffe auf London im September 1940 einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholen sollte. Die Familie wurde ins nordenglische Wigton, Cumberland, evakuiert, wo Julius Freund am 12. März 1941 im dortigen Armenkrankenhaus, dem Highfield House, starb. Kurz darauf, im Frühsommer 1941, emigrierte Gisela Freund per Schiff von Marseille nach Buenos Aires. Nach Julius Freunds Tod vermittelte Fritz Nathan infolge Clara Freunds Auftrag den Verkauf der Kunstsammlung über den Luzerner Kunsthändler Theodor Fischer. Alle Objekte der Sammlung – abzüglich jener, die das Kunstmuseum Winterthur käuflich erworben hatte, sowie der für die Familie Freund zurückbehaltenen Stücke – trafen im Dezember 1941 in Luzern ein. Am 21. März 1942 kamen sie als "Sammlung Julius Freund aus dem Besitz von Frau Dr. G. Freund, Buenos Aires" zur Auktion. An der Versteigerung beteiligten sich aufgrund des Sammlungsschwerpunktes auf deutscher Grafik des 19. und 20. Jahrhunderts vorwiegend deutsche Museen sowie der "Sonderauftrag Linz", aber auch Schweizer Institutionen und Sammler. Adolf Hitlers Sonderbeauftragter Hans Posse ersteigerte 31 Gemälde und Zeichnungen des 19. Jahrhunderts für knapp 62.000 Reichsmark. Im Mai 1942 überwies Fischer den Gesamterlös von 198.860,50 Schweizer Franken durch die Schweizer Kreditanstalt Luzern an Gisela Freund, Bank of London South America Ltd Buenos Aires. Fischer selbst erhielt das Geld aus Deutschland erst Anfang 1943 durch die von Martin Bormann geleitete Parteikanzlei. Die Galerie Fischer, die über 90 Prozent der Schweizer Erwerbungen durch den "Sonderauftrag" abwickeln sollte, machte noch bis 1944 Geschäfte mit dem "Führermuseum".

Nachdem das damalige Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen 2004 zur Auffassung gelangt war, dass nunmehr in deutschem Bundeseigentum befindliche – und von Posse erworbene – Kunstwerke aus der ehemaligen Sammlung Freund nicht restituiert werden müssten, empfahl 2005 die Beratende Kommission für die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz, der deutschen Bundesregierung, ein Aquarell von Anselm Feuerbach aus dem Historischen Museum der Pfalz Speyer sowie drei Werke Carl Blechens aus dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln, dem Westfälischen Landesmuseum Münster und dem Kurpfälzischen Museum Heidelberg, sämtlich Dauerleihgaben des Bundes, an die RechtsnachfolgerInnen nach Julius und Clara Freund zurückzugeben. Infolge einer Einigung mit den ErbInnen restituierte auch das Kupferstichkabinett in Dresden 2010 mehrere Dutzend Zeichnungen, Aquarelle, Holzstiche, Radierungen und Lithografien, die sich dort seit 1944, ebenfalls infolge der Akquisition für den "Sonderauftrag Linz", befunden hatten, und kaufte sie gleichzeitig zurück. Bei diesen Fällen handelte es sich erstmals um die Restitution von Teilen einer als Fluchtgut definierten Kunstsammlung. Demgegenüber empfahl der österreichische Kunstrückgabebeirat 2016 hinsichtlich zweier Zeichnungen Carl Blechens sowie einer Carl Georg Anton Graebs, die auch zu den durch Posse erworbenen Werken zählten und nach Kriegsende an die Albertina gelangt waren, diese nicht zu restituieren, da ihre Veräußerung durch Gisela Freund außerhalb des NS-Herrschaftsbereichs erfolgt war und daher nicht als nichtig im Sinne des § 1 Nichtigkeitsgesetz zu werten ist.

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Publikationen zur Person / Institution

Beschluss des Kunstrückgabebeirats, Julius Freund, 23.6.2016, URL: www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Freund_Julius_2016-06-23.pdf (3.12.2020).

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Archivalien

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Archiv des Kunstmuseums Winterthur, Mappe Julius Freund.

Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA), Rep. 36A Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg (II).

BArch Koblenz, B 323/146; B 323/156; B 323/157; B 323/331.

Bundesarchiv Bern, E 7160-08 (-) 1968/28, Bd. 371.

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Institut Mémoires de l'édition contemporaine (IMEC), Caen, FND 237, Correspondence familiale.

Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO), Abt. I – Entschädigungsbehörde, Entschädigungsakten.

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NARA, M1946, Administrative records, correspondence, denazification orders, custody receipts, property cards, Jewish restitution claim records, property declarations, and other records from the Munich CCP (Ardelia Hall Collection), June 1945–May 1947.
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Stiftung Stadtmuseum Berlin, Hausarchiv, Stengel-NL 4.4.