Rothberger, Heinrich

Heinrich Rothberger

Porträt, Schwarz-Weiß-Foto
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13.9.1868 Wien – 20.1.1953 Montreal, Kanada

Als Schneider und Kaufmann ausgebildet übernahm Heinrich Rothberger nach dem Tod seines Vaters 1899 gemeinsam mit seinen Brüdern Moritz und Alfred die Leitung des Textilunternehmens Jacob Rothberger mit dem Warenhaus am Wiener Stephansplatz. Er lebte mit seiner Frau Ella, née Burchardt (1878–1964), und den beiden Söhnen Jakob Johann, genannt Hans (1899–1987), und Friedrich, genannt Fritz (1902–2000), in einer Wohnung in Wien 1, Jasomirgottstraße, in der sich auch die bedeutende Porzellansammlung befand, die Heinrich Rothberger seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aufgebaut hatte. Seit dem "Anschluss" 1938 wurden die Mitglieder der Familie Rothberger aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt. Fritz Rothberger, der sich auf einem Forschungsaufenthalt in Warschau befand, kehrte nicht nach Wien zurück, emigrierte 1939 nach England und 1940 weiter nach Kanada. Im Frühsommer 1938 wurde Hans Rothberger verhaftet und ins KZ Dachau gebracht. Während die Firma "arisiert" wurde, geriet die Familie Rothberger zusehends unter Druck, ihre Rücklagen aufzulösen und ihr Eigentum zu verkaufen. Am 18. und 19. November 1938 wurden 95 Porzellane Heinrich Rothbergers im Berliner Auktionshaus Hans W. Lange versteigert, der Erlös der Auktion floss in Zwangsabgaben. Am 21. November 1938 ordnete der Wiener Magistrat die Sicherstellung sämtlicher Kunstgegenstände Heinrich Rothbergers an, die in der Folge von der Zentralstelle für Denkmalschutz verzeichnet wurden. Am 14. Februar 1939 wurde Hans Rothberger aus dem Konzentrationslager Buchenwald, wohin er im Herbst 1938 von Dachau überstellt worden war, entlassen und floh wahrscheinlich im Mai 1939 aus Wien. 1939 und 1940 wurden über den Rechtsanwalt Camillo Limpens, das Auktionshaus Weinmüller Wien sowie das Antiquariat Gilhofer & Ranschburg zahlreiche Objekte der Sammlung Heinrich Rothberger vor allem an Museen verkauft. Rothberger verlor zudem die Eigentumsrechte an seinen Häusern. Nach Bezahlung von 96.215 Reichsmark Reichsfluchtsteuer emigrierten Heinrich und Ella Rothberger am 2. November 1941 über Barcelona nach Kuba. Ihr eigentliches Ziel, die USA, konnten sie durch den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten am 7. Dezember 1941 nicht erreichen. Nach Kriegsende übersiedelten sie von Kuba zu ihren Söhnen nach Kanada. Von dort aus versuchte Heinrich Rothberger, sein Eigentum, das ihm in der NS-Zeit entzogen worden war bzw. das er in Wien zurücklassen musste, wiederzubekommen. Anfang 1947 beantragte er beim österreichischen Bundesdenkmalamt die Ausfuhr jenes Teils seiner Porzellansammlung, der nicht entzogen oder zwangsverkauft worden war und nun von Rechtsanwalt Limpens verwahrt wurde. Dem Antrag wurde für 32 Porzellane stattgegeben. Gegen eine Ausfuhrgenehmigung für zwei große Schüsseln mit Schwarzlotmalerei aus der Wiener Porzellanmanufaktur Du Paquier erhob das Österreichische Museum für angewandte Kunst Einspruch. Für 50 Stücke, die dieses Museum in der NS-Zeit aus der Sammlung Heinrich Rothbergers erworben hatte, beantragte Limpens ebenfalls 1947 die Rückstellung. Nach mehrmonatigen Verhandlungen kam es zu einem Vergleich: 31 Porzellane und ein Emailkännchen wurden an den früheren Eigentümer restituiert, die übrigen 18 Porzellane widmete Rothberger dem Museum. Die zwei Schüsseln mit Schwarzlotmalerei verblieben ebenfalls im Museum, Rothberger erhielt dafür im Tausch sechs Schüsseln aus chinesischem Porzellan. Die seit Jänner 1948 mit der Albertina laufenden Verhandlungen endeten Mitte Juli 1948 ebenfalls mit einem Rückstellungsvergleich. Dabei verblieben vier Originalaquarelle von Carl Schütz, die die Albertina 1940 über Camillo Limpens erworben hatte, in der Graphischen Sammlung. Als Gegenleistung erhielt Rothberger vier Kupferstiche von Israhel van Meckenem. Zwei Radierungen von Carl Schütz und Johann Ziegler, die die Albertina 1941 über Gilhofer & Ranschburg erworben hatte, wurden aus unbekannten Gründen nicht in den Rückstellungsvergleich einbezogen. Von den zwei zwangsverkauften Ansichten des Stephansplatzes von Rudolf von Alt wurde angenommen, dass sie zu Kriegsende verloren gegangen waren. Die 1947/48 rückgestellten Objekte ließ Heinrich Rothberger über die New Yorker Kunsthandlung Glueckselig & Son verkaufen. Die entzogenen Liegenschaften am Stephansplatz, die durch den Brand im April 1945 schwer beschädigt worden waren, wurden an die Familie Rothberger rückgestellt und Mitte der 1950er-Jahre verkauft. Die Firma Jacob Rothberger, von Wilhelm Bührer "arisiert", bestand seit dem Brand nur mehr nominell. Erst 1967 wurde sie beim Handelsgericht gelöscht. Ella und Heinrich Rothberger lebten wie auch ihre Söhne weiterhin in Kanada und kehrten nicht nach Wien zurück.

Seit 2000 fasste der Kunstrückgabe-Beirat vier Beschlüsse betreffend die Sammlung Heinrich Rothberger, aufgrund derer bis 2015 25 Porzellane aus dem MAK und zwei Radierungen aus der Albertina an die ErbInnen nach Heinrich Rothberger restituiert wurden, ebenso wie ein Solitär-Service und eine Schale mit Untertasse aus dem Wien Museum, für die die Wiener Restitutionskommission 2002 die Rückgabe empfohlen hatte. In Großbritannien anerkannte das Spoliation Advisory Panel 2008 die Forderungen der ErbInnen nach Heinrich Rothberger bezüglich eines Porzellanobjekts im British Museum in London und eines im Fitzwilliam Museum in Cambridge. 2017 wurden zwei Porzellanfiguren aus dem Museum Huelsmann Bielefeld an die ErbInnen nach Heinrich Rothberger restituiert. Nicht im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen, wie lange angenommen, ist das Rudolf von Alt-Aquarell Stephansplatz mit dem Rothberger-Haus von 1879 aus der Sammlung Heinrich Rothberger. Es wurde 1945 bei Heinrich Hoffmann beschlagnahmt und in den Münchener Central Collecting Point gebracht. Da offenbar nicht ermittelt werden konnte, dass es sich um ein entzogenes Werk handelte, wurde das Aquarell an die Familie Hoffmann zurückgegeben, die es verkauft haben dürfte. Zwar wurde das Bild nach 1945 von der staatlichen Verwaltung freigegeben, das heutige – unbekannte – Eigentum daran ist also rechtmäßig. Und doch handelt es sich um ein in der NS-Zeit entzogenes Kunstwerk, das niemals an den früheren Eigentümer bzw. dessen Erbinnen und Erben restituiert wurde.

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Publikationen zur Person / Institution

Beschluss des Kunstrückgabebeirats, Heinrich Rothberger, 26.6.2000, URL: www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Rothberger_Heinrich_2000-06-26.pdf (3.12.2020).
Beschluss des Kunstrückgabebeirats, Heinrich Rothberger, 20.11.2003, URL: www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Rothberger_Heinrich_2003-11-20.pdf (3.12.2020).
Beschluss des Kunstrückgabebeirats, Heinrich Rothberger, 14.12.2005, URL: www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Rothberger_Heinrich_2005-12-14.pdf (3.12.2020).
Beschluss des Kunstrückgabebeirats, Heinrich Rothberger, 8.10.2013, URL: www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Rothberger_Heinrich_2013-10-08.pdf (3.12.2020).

Dritter  Bericht  des  amtsführenden  Stadtrates für Kultur  und  Wissenschaft  über  die gemäß dem Gemeinderatsbeschluss vom 29. April 1999 erfolgte Übereignung von Kunst- und Kulturgegenständen aus den Sammlungen der Museen der Stadt Wien sowie der Wiener Stadt- und Landesbibliothek vom 21. November 2002 (Restitutionsbericht 2002), URL: www.wienmuseum.at/fileadmin/user_upload/PDFs/Restitutionsbericht_2002.pdf (3.12.2020).

Spoliation Advisory Panel report, Porcelain in the British Museum and the Fitzwilliam Museum, 11 June 2008, URL: assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/250265/0602.pdf (3.12.2020).

Christina Gschiel/Ulrike Nimeth/Leonhard Weidinger (Hg.), schneidern und sammeln. Die Wiener Familie Rothberger (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 2), Wien-Köln-Weimar 2010, URL: doi.org/10.7767/boehlau.9783205790839.

Edith Hann, Herrenkleider-Magazin Jacob Rothberger, in: Andreas Lehne, Wiener Warenhäuser 1865–1914. Mit Beiträgen von Gerhard Meißl und Edith Hann, Wien 1990, 85–120.

Sophie Lillie, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens (= Bibliothek des Raubes 8), Wien 2003.

Leonhard Weidinger, Geschneidert. Gesammelt. Arisiert. Restituiert. Die Geschichte der Brüder Rothberger. Tailored. Collected. Aryanized. Restituted. The story of the Rothberger brothers, in: Astrid Peterle (Hg.), Kauft bei Juden! Geschichte einer Wiener Geschäftskultur. Buy from Jews! Story of a Viennese store culture, Wien 2017, 172–185.

Archivalien

Albertina-Archiv, Zl. 484/1940; Zl. 491/1940; Zl. 612/1941; Zl. 667/1941; Zl. 262-1948; Zl. 758-1948.

MAK-Archiv, Hauptakte Zl. 458-1939; Zl. 548-1939; Zl. 1177-1939; Zl. 1343-1939; Zl. 618-1940; Zl. 90-1941; Zl. 52-1947; Zl. 104-1947; Zl. 395-1947.

OeStA/AdR, E-uReang, FLD 15706, Heinrich Rothberger.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, Kommissare und Treuhänder 3627; Liegenschaft 4040; Liegenschaft 9166; St 7265; VA 8332 Johann Jacob Rothberger; VA 9476 Ella Rothberger; VA 27197 Heinrich Rothberger; VA 31576 Friedrich Rothberger.

WStLA, M.Abt. 119, A41, VEAV 377, 1. Bez., Agathe Rothberger, Albert Rothberger, Berta Rothberger, Ella Rothberger, Heinrich Rothberger, Karl Rothberger; VEAV 449, 1. Bez., Agathe Rothberger, Albert Rothberger, Berta Rothberger, Ella Rothberger, Heinrich Rothberger, Karl Rothberger; VEAV 887, 1. Bez., Heinrich Rothberger; VEAV 1133, 1. Bez., Ella Rothberger, Heinrich Rothberger, Hilde Rothberger; VEAV 23N, 1. Bez., Rothberger.