Wolf, Alfred. Reise- und Versandbuchhandlung, Antiquariat und Export

Alfred Wolf. Reise- und Versandbuchhandlung, Antiquariat und Export

Info

Das Antiquariat Alfred Wolf – Reise- und Versandbuchhandlung, Antiquariat und Export wurde am 22. Dezember 1938 in Wien 1, Schottenring 35 von Alfred Wolf, einem ehemaligen Mitarbeiter des Antiquars Hans Peter Kraus gegründet und existierte bis zum Jahr 1970 an diesem Standort. Zusammen mit seinem Kompagnon Richard Friedrich Riedmann – wie Wolf NSDAP-Mitglied –, baute Wolf das Antiquariat aus den Warenlagern liquidierter und "arisierter" Antiquariate auf. Wolf und Riedmann wurden dabei vom Wirtschaftsprüfer der Vermögensverkehrsstelle Gottfried Linsmayer unterstützt, der in Wien mindestens 27 Antiquariate und Buchhandlungen abwickelte. Riedmann gab rückblickend an, dass innerhalb kurzer Zeit ein Buchbestand von zirka 600.000 Büchern aufgebaut wurde, der in vier Depots eingelagert war: und zwar in Wien 1, Schottenring 33 und Zelinkagasse 12, Wien 2, Untere Augartenstraße 36 und 38 und Wien 9, Kolingasse 7. Die Buchbestände des Antiquariats setzten sich zunächst aus dem Warenlager von Hans Peter Kraus und aus jenem der Versandbuchhandlung von Leo Weiser (Wien 1, Tuchlauben 5) zusammen, wo Riedmann 1938 als kommissarischer Verwalter die "Arisierung" durchführte und Wolf das Warenlager zukommen ließ. Weitere Zuwächse kamen aus den Warenlagern von Antiquariaten, die von Linsmayer "abgewickelt" wurden hinzu, darunter Bestände aus dem Bücherlager der Akademischen Verlags- und Versandbuchhandlung Emil Haim & Co., sowie durch Erwerbungen von Privatbibliotheken aus dem Eigentum von Wiener Juden und Jüdinnen, die zur Finanzierung ihrer Flucht gezwungen waren, ihr Vermögen zu veräußern. Daneben verfügte Wolf in seinen Beständen über eine umfangreiche – laut einem Schätzungsprotokoll aus dem Jahr 1946 – zirka 200.000 Stück umfassende Landkartensammlung, deren Herkunft unklar und zumindest teilweise der Provenienz von Hans Peter Kraus zuzuschreiben ist.

Nachdem Alfred Wolf zum Kriegsdienst in der Wehrmacht eingerückt war, kam es im Jänner 1943 zur Umwandlung des Unternehmens in eine offene Handelsgesellschaft, bei der Wolf und Riedmann jeweils einen 50 %-igen Anteil als Gesellschafter besaßen. Wolf und Riedmann verzichteten auf einen "Straßenverkauf" und konzentrierten ihr Geschäft auf den Exporthandel. Neben Kontakten in die Tschechoslowakei, Polen und Jugoslawien unterhielten sie vor allem Geschäftsbeziehungen nach Deutschland. Die exponierte Stellung des Antiquariats lässt sich auch an den beachtlichen Umsätzen in den Verkaufsbilanzen ablesen: Wurden 1939 noch Waren im Wert von 23.933,- Reichsmark verkauft, stieg der Umsatz bis 1944 auf das Zehnfache. Zum Kundenkreis zählten zirka 2.000 zumeist öffentliche Bibliotheken (Staats- und Stadtbibliotheken, Archivbibliotheken, Universitätsbibliotheken, Institutsbibliotheken), Behörden und NSDAP-Stellen aber auch zahlreiche PrivatkundInnen, darunter "prominente" Nationalsozialisten wie Martin Bormann. Intensive Geschäftsbeziehungen unterhielten Wolf und Riedmann besonders mit deutschen NSDAP-Dienststellen (Parteikanzlei, Hauptarchiv der NSDAP, Bibliotheken des Reichstages und des Reichsgerichtes). Darüber hinaus stand das Unternehmen laut Aussage Riedmanns mit der Kanzlei Alfred Rosenberg in Geschäftsverbindung. Ab 1943 kam es zur Verlagerung vor allem wertvoller Buchbestände aus dem Antiquariat in Depots, um sie vor den Folgen von Luftangriffen, aber auch einer drohenden Beschlagnahmung durch die Alliierten zu schützen. Unter anderem wurden nach Aussagen von Riedmann in seinem Volksgerichtsprozess Depots in Aschaffenburg und Homburg an der Saar errichtet sowie Bücherverstecke, die für die Bibliothek Adolf Hitlers bestimmt waren, in Straubing und am Grundlsee angelegt. Weitere Bestände wurden 1946 in der Privatwohnung von Riedmann in Wien 18, Hockegasse 96 sichergestellt. Riedmann bezeichnete sich selbst als Einkäufer für die Privatbibliothek Hitlers, für die Hauptbibliothek der NSDAP und als Lieferant der sogenannten "Führerbibliothek" in Linz. Während Wolf nach dem Krieg als verschollen galt, führte Riedmann das Antiquariat bis Sommer 1946 weiter und veranlasste bis zu diesem Zeitpunkt weitere Bücherverlagerungen nach Deutschland.

Im Juli 1945 forderten der Wiener Stadtrat Leo Cornelius Friedländer sowie die Korporation der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler die Überprüfung des Antiquariates hinsichtlich der NS-Verstrickungen und die Einsetzung eines öffentlichen Verwalters. Im Dezember 1945 brachte der Rechtsanwalt von Hans Peter Kraus, Friedrich Köhler, Strafanzeige gegen Alfred Wolf gemäß der §§ 6 und 7 des Kriegsverbrechergesetzes (Missbräuchliche Bereicherung und Denunziation) ein und forderte Maßnahmen zur Sicherstellung des Besitzstandes. Nach Inkrafttreten des 3. Rückstellungsgesetzes 1947 stellten Kraus und Weiser Rückstellungsanträge. Nachdem die Republik Österreich – vertreten durch das Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung – der Einsetzung eines öffentlichen Verwalters nicht nachkam, veranlasste am 23. August 1946 die US-Militärregierung die Bestellung von Erwin Kuffler zum öffentlichen Verwalter des Antiquariats, der aufgrund der Vollmachten von Kraus und Weiser deren Interessen wahrnahm. Da sowohl Wolf als auch Riedmann die deutsche Staatsbürgerschaft hatten, galt das Antiquariat als "deutsches Eigentum". Riedmann betrieb bis 1949 die Absetzung von Kuffler und forcierte stattdessen die Einsetzung eines seit 1943 im Antiquariat tätigen Mitarbeiters von Wolf, Alexander Bachzelt, der seit 1945 als Abwesenheitskurator die Interessen von Wolf vertrat. Bachzelt versuchte mit Riedmann, die Restituierung von aufgefundenen Büchern aus der Provenienz Hans Peter Kraus zu hintertreiben und deren unrechtmäßige Inbesitznahme zu verschleiern. Unterstützung erhielten sie vom politischen Referat des Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung. Nach der Abberufung von Kuffler am 11. Jänner 1949 kam es zu einem mehrfachen Wechsel der öffentlichen Verwalter für den 50 %-igen Anteil von Wolf am Antiquariat. Im Februar 1949 erhielt Riedmann die Erlaubnis, im Antiquariat Wolf wieder tätig zu werden – von März 1950 bis Juni 1953 als Geschäftsführer. Ab diesem Zeitpunkt fanden wiederum Bücherverlagerungen nach Deutschland statt. Zwischen Kraus und Riedmann kam es 1950 zum Abschluss eines Rückstellungsvergleichs (Rückgabe der "Handbibliothek") und zur Einschränkung der öffentlichen Verwaltung auf den Anteil von Wolf. 1953 wurde wieder eine öffentliche Verwaltung über das gesamte Antiquariat eingesetzt. Zum Abschluss des Rückstellungsverfahrens bei der Rückstellungskommission des Landesgerichts für Zivilrechtsachen mit Weiser kam es schließlich im Dezember 1956. Das Urteil bestätigte die Rückstellungsansprüche von Weiser, der damit Eigentümer des Unternehmens wurde. Riedmann starb am 19. November 1957 in Kiefersfelden, Oberbayern. Bereits am 1. September 1957 hatte die seit 1941 im Antiquariat Wolf als Prokuristin und stille Teilhaberin arbeitende Schwester von Riedmann, Anna Marie Ottilie Lawatschek, das Antiquariat von Weiser käuflich erworben und führte es bis 1970 unter dem Namen Alfred Wolf weiter. Der Verkauf von entzogenen Büchern verlief am Wiener Schottenring von 1939 bis zu seiner Schließung 1970 kontinuierlich weiter. Diese Kontinuität bezog sich auch auf die Geschäftsbeziehungen mit Teilen des Kundenstocks, die das Unternehmen während der Jahre 1938 bis 1945 aufgebaut hatte.

 

Die Recherchen wurden gefördert durch die MA 7 – Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung.

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Publikationen zur Person / Institution

Walter Mentzel/Harald Albrecht, Die "Antiquariats- und Exportbuchhandlung Alfred Wolf" – ehemals Hans Peter Kraus und Leo Weiser. Die Geschichte eines Raubunternehmens, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie (2012) Sonderband 108, NS-Raubgut in Museen, Bibliotheken und Archiven (= Viertes Hannoversches Symposium), 441–454.

Wolfgang Saxon, Hans Peter Kraus, 81, Book Dealer and Collector, in: The New York Times, 2.11.1988.

Archivalien

Archiv der Wirtschaftskammer Österreich, Gewerbeakt, Hans Peter Kraus.
Archiv der Wirtschaftskammer Österreich, Gewerbeakt, Alfred Wolf.
Archiv der Wirtschaftskammer Österreich, Gewerbeakt, Leo Weiser.
Archiv der Wirtschaftskammer Österreich, Gewerbeakt, Alfred Wolf – Richard Friedrich Riedmann.

OeStA/AdR, E-uReang, FLD, Zl. 8436/1949, Leo Weiser.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, Handel, Zl. 5003, Leo Weiser.
OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA 50691, Hans Peter Kraus.
OeStA/AdR, ZNsZ, Gauakt, Zl. 56333, Alfred Wolf.
OeStA/AdR, ZNsZ, Gauakt, Zl. 121205, Richard Riedmann.

WStLA, Öffentliche Verwaltung (ÖVA), A 23-72, Firmen, Gesellschaften 1951–1968, Alfred Wolf 1946.
WStLA, Volksgerichtsakt A1, Vg 4 Vr 2939/1945, Friedrich Richard Riedmann.
WStLA, M.Abt. 119, A41, VEAV, 1947 MBA 1, C 290, Hans Peter Kraus.