Thürnthal, Schloss

Schloss Thürnthal

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Thürnthal, Fels am Wagram

auch Schloss Thürntal

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Nachdem die Eigentumsrechte von Emma und Antonia Bunzel an Schloss Thürnthal bei Fels am Wagram Ende Juni 1943 gemäß der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz dem Deutschen Reich verfallen waren, übernahm der Oberfinanzpräsident für Wien und Niederdonau die Verwaltung des Gebäudekomplexes. Dem Institut für Denkmalpflege in Wien wurde die Benützung des Schlosses als Bergungsstelle auf Kriegsdauer gestattet. Als Depotverwalter setzte man Adolf Graf sen., den Tischler des Instituts für Denkmalpflege, ein. Der Wiener Architekt Josef Friedl erhielt den Auftrag zur Planung der Instandsetzungs- und Umbauarbeiten des seit 1939 unter Denkmalschutz stehenden, äußerst baufälligen barocken Schlosses. Anlassgebend für die Adaptierung des Schlosses als Luftschutzbergungsort war u. a. der Befehl Adolf Hitlers gewesen, die gesamte Sammlung Anton Lanckoronski, welche nach Abwendung der Ansprüche des Reichsmarschalls Hermann Göring und der Haupttreuhandstelle Ost ausschließlich dem "Führervorbehalt" unterlag, an Orte außerhalb von Wien zu evakuieren. Die Untersuchungsergebnisse des Chemikers Maximilian Eder vom November 1943, der eine zu hohe Luftfeuchtigkeit in den Räumlichkeiten des ersten Obergeschoßes festgestellt hatte, wo bereits mehrere Gemälde deponiert waren, hielten Herbert Seiberl, den Leiter des Instituts für Denkmalpflege und Bergungsverantwortlichen, nicht davon ab, die Arbeiten in Thürnthal zu intensivieren. Auch die Unterbringung von französischen Kriegsgefangenen im Südtrakt des Schlosses stellte entgegen dem Bergungsgrundsatz "Trennung von Personen und Sachgütern" offenbar ebenfalls keinen Hinderungsgrund dar. Bis Jahresende folgte u. a. die Verbringung von seit 1942 in Schloss Immendorf lagernden Kunstwerken sowie der Bibliothek Anton Lanckoronskis aus Wien, von Bibliotheksbeständen des Instituts für Denkmalpflege und der Figurengruppe "Engelssturz" vom Portal der Wiener Michaelerkirche. Anfang des Jahres 1944 wurde die Umbergung der im Benediktinerstift Kremsmünster deponierten großformatigen Gemälde aus dem Bestand des geplanten "Führermuseums" in Linz ausgeführt. Weiters folgten Objekte aus den von der Denkmalbehörde verwahrten und verwalteten sichergestellten Sammlungen Serena Lederer, Albert Pollak, Otto Pick, Markus Lindenbaum, David Goldmann, Emil Karpeles-Schenker und Elisabeth Fischer sowie die unverteilten Restbestände der beschlagnahmten Wiener Rothschild-Sammlungen, bevor diese schlussendlich in das Salzbergwerk Altaussee weitertransportiert wurden. Ab Mai 1944 diente die Bergungsstelle auch als Depot für tausende Objekte der im Auftrag des "Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg" aus Frankreich verschleppten Sammlung des Barons Jean Cassel van Doorn, die in Thürnthal und Altaussee unter dem Decknamen "Aktion Berta" eingelagert wurden. Ungeachtet mehrerer Luftangriffe auf den nahen Fliegerhorst Fels am Wagram schritten die Umbergungen und Evakuierungen aus Wien weiter voran. Im Juli 1944 erfolgte die Bergung des achtteiligen Beethovenfrieses von Gustav Klimt aus der Sammlung Lederer in der Schlosskapelle Thürnthal. Als letzte Einlagerung aus Wien kamen die Restbestände der beschlagnahmten Sammlung Rudolf Gutmann hinzu, die bislang im Depot des Instituts für Denkmalpflege, der Orangerie beim Unteren Belvedere, gelagert gewesen waren. Die noch für Februar 1945 geplanten Umbergungen aus dem Bergungsdepot Schloss Steyersberg konnten aufgrund der Witterungsverhältnisse und des Fehlens von Kraftfahrzeugen nicht mehr durchgeführt werden. Nach Kriegsende stand das Depot Thürnthal unter Verwaltung der sowjetischen Besatzungstruppen und wurde Ende Juli 1946 samt den eingelagerten Kulturgütern durch die Landeskommandantur der Roten Armee für Niederösterreich beschlagnahmt. Nach mehreren Verhandlungsversuchen von österreichischer Seite kam es ab Dezember 1946 zur Freigabe von Bergungsgut mit nachweislich österreichischer Provenienz und dessen Verlagerung nach Wien in Depots der Denkmalbehörde. Mit der Übergabe des Bestandes der "Aktion Berta" an die französischen Behörden im August 1947 war das Schloss bis auf den Beethovenfries, der erst im August 1956 in das Stift Altenburg abtransportiert werden sollte, und einige wenige Restbestände geräumt. Im April 1950 wurde Schloss Thürnthal samt Park und den zugehörigen Wirtschaftsgebäuden an die frühere Eigentümerin, Emma Barber, née Bunzel, der im Juli 1938 die Flucht nach England gelungen war, rückgestellt. Ihre Schwester und ehemalige Miteigentümerin des Schlosses, Antonia Bunzel, war gemeinsam mit ihrem Vater Guido Bunzel 1942 in Maly Trostinec ermordet worden.

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Veröffentlichungsdatum
Publikationen zur Person / Institution

Theodor Brückler, Schloß Thürntal als Kunstgut-Bergungsort während des Zweiten Weltkrieges, in: Jahrbuch für Landeskunde von NÖ, Neue Folge 63/64 (1997/98), 205–224.
Theodor Brückler, Kunstwerke zwischen Kunstraub und Kunstbergung 1938–1945, in: Theodor Brückler (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute (= Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege 19), Wien-Köln-Weimar 1999, 13–30.

Dehio Niederösterreich, Nördlich der Donau, Wien 1990.

Eva Frodl-Kraft, Gefährdetes Erbe. Österreichs Denkmalschutz und Denkmalpflege 1918–1945 im Prisma der Zeitgeschichte, Wien-Köln-Weimar 1997.

Christina Gschiel, "Transport der Teile ohne zu schneiden". Die Bergung des Beethoven-Frieses aus der Sammlung Lederer in Schloss Thürnthal, in: Pia Schölnberger/Sabine Loitfellner (Hg.), Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus. Mythen – Hintergründe – Auswirkungen (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 6), Wien-Köln-Weimar 2016, 359–382, URL: doi.org/10.7767/9783205201564-018.

Claudia Kutschera, Machbarkeitsstudie Schloss Thürnthal im Weinviertel, Diplomarbeit Technische Universität Wien 2015.

Archivalien

BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, Bergungsort Thürntal und "Aktion Berta".
BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3/1, Bergungsort Thürntal und "Aktion Berta".
BDA-Archiv, Topographische Materialien, Niederösterreich, K. 75, M Schloss Thürntal.