Jung, Hubert Wilhelm

Hubert Jung

Info
Zusatzinformationen

4.12.1883 Stuttgart – 8.6.1971 Nürnberg

Hubert Wilhelm Jung wurde 1883 als jüngstes von sieben Kindern in Stuttgart geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Ravensburg immatrikulierte Jung 1904 an der Architekten-Abteilung der Technischen Hochschule München. Eine besondere Beziehung verband ihn mit seinem älteren Bruder Hugo (geb. 1877), einem promovierten Neuphilologen, der auch einige Zeit lang gemeinsam mit ihm studierte. Gleich nach Huberts Studienabschluss 1911 gingen beide Brüder nach Wien, um im Atelier Josef Hoffmanns mitzuarbeiten, den sie durch ihren Freund Adolf Marx (1886–1971) kennen gelernt hatten, dessen Vater, der Lackfabrikant Hugo Marx (1854–1944), die Familienvilla in der Hinterbrühl von Hoffmann erbauen hatte lassen. Dementsprechend verkehrten die Brüder Jung in Wien in den Künstlerkreisen um Hoffmann, Dagobert Peche, Gustav Klimt und Egon Schiele. Der Kontakt zu Letzterem ist in einer Reihe von Briefen dokumentiert, laut denen die Brüder neben Vermittlertätigkeiten für Hoffmann auch Werke direkt beim Künstler kauften. Auf einer Liste, auf der der Künstler die Sammler seiner Zeichnungen festhielt, findet sich der Eintrag "Dr. Jung, Wien" – welcher der beiden Brüder hier gemeint war, bleibt allerdings offen. Infolge des Beginns des Ersten Weltkriegs wurden die Brüder zum Militärdienst für Deutschland eingezogen. Als Leutnant und Kompanieführer fiel Hugo Jung am 11. August 1917 in der westlichen Moldau; sein Bruder Hubert überlebte den Fronteinsatz schwer verletzt. Er kehrte jedoch nicht mehr nach Wien zurück, sondern zog nach Gut Abelbeck bei Soltau, Nähe Hannover, zu seiner Lebensgefährtin Anna Cassinone (1878–1968), die der wohlhabenden protestantischen Unternehmerfamilie Körting entstammte und in erster Ehe mit dem Hannoveraner Verleger Max Jänecke (1869–1912) und in zweiter Ehe mit Alexander Cassinone (1866–1931), dem Direktor der Österreichischen Maschinenbau AG Körting, verheiratet gewesen war. Im Mai 1931 zog es Hubert und Anna Jung, die 1924 in München geheiratet hatten, nach Salzburg, wo sie das Erlhofgut in der Gemeinde Thumersbach erwarben. Mit ihnen ging die damals 26-jährige Hausgehilfin Emmy Lohmann, die sie später adoptieren sollten. Nach dem "Anschluss" 1938 verkauften sie das Gut wieder, da sie, wie Hubert später angab, "wegen der jüdischen Abstammung meiner Frau fürchteten, Schwierigkeiten zu bekommen". Annas Mutter Marie Körting (née Matyas, 1850–1880) entstammte einer ungarischen jüdischen Kaufmannsfamilie. Das Ehepaar Jung erwarb in der Folge den Hof Uhla mit einem Areal von ca. 145 Hektar sowie einem See im heutigen Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Nachdem dafür kein sog. Bauernschein notwendig gewesen war, verbrachten sie die folgenden Jahre dort relativ unbehelligt, obwohl das Reichssippenamt von Annas Status als "Halbjüdin" informiert war. Neben der Kleinpferde- und Doggenzucht lebten sie v. a. von ihrer Leibrente. Beim Einmarsch der Roten Armee im Mai 1945 wurden jedoch Vieh, Gerät, Einrichtungsgegenstände sowie Lebensmittel geplündert. Im Jahr darauf sollte der Hof im Zuge der sogenannten demokratischen Bodenreform enteignet werden, was Hubert Jung zunächst erfolgreich bekämpfte. 1948 wurde jedoch der gesamte Besitz gemäß Verordnung Nr. 19 der Landesverwaltung Mecklenburg über die Bodenreform im Lande Mecklenburg vom 5. September 1945 neuerlich enteignet. Bauern aus der Umgebung wurden dabei unter Polizeiaufsicht gezwungen, die Räumung durchzuführen. Im Mai 1949 gelang es Hubert Jung, den bis dahin in einer Scheune gelagerten Hausrat abzutransportieren und bei einer Freundin einzulagern. 1966 gab er an: "Einige Kisten mit Büchern u. Bildern u. kleinem Hausrat gelang es, zu Verwandten im Westen zu schicken." Nachdem alle Versuche, die Enteignung rückgängig zu machen, vergeblich blieben, ergriffen Anna und Hubert Jung gegen Ende des Jahres 1949 die Flucht aus der DDR. Aufnahme fanden sie bei Baron Christoph von Tucher in dessen Nürnberger Schloss, wo sie bis zu ihrem Lebensende wohnen sollten. Unterdessen hatte der Rat der Stadt Neustrelitz das bei der Freundin deponierte verbliebene Eigentum beschlagnahmt. Nach ihrer Flucht litt das Ehepaar Jung unter permanenter Geldknappheit. Geblieben war ihnen lediglich die Tiroler Berghütte, die sie 1920 am Bärenbadkogel zwischen Kitzbühel und Pass Thurn erbauen hatten lassen, wo sie fortan viele Monate verbrachten. Von dort aus schrieb Jung im April 1951 Albertina-Direktor Otto Benesch und bot ihm neun Zeichnungen sowie eine Radierung Egon Schieles an. Außerdem bat er um Unterstützung beim Verkauf seines Ölgemäldes Die kleine Stadt III, das er "damals, während meiner Tätigkeit bei Professor J. Hoffmann von Schiele selbst erworben (1914)" habe. Die Albertina kaufte acht Zeichnungen an, das Gemälde wurde schließlich von Rudolf Leopold erworben.

Unter den von der Albertina von Hubert Jung erworbenen Zeichnungen befindet sich ein Knabenbildnis Erich Lederers, dessen Übereignung ein Rechtsnachfolger von Todes wegen nach diesem im Jahr 2015 beanspruchte. Der Kunstrückgabebeirat empfahl in seinem Beschluss vom Oktober 2016, das Werk, wie die anderen fünf von Hubert Jung erworbenen und heute noch in der Albertina befindlichen Blätter, nicht zu restituieren, da aufgrund von Hubert (bzw. allenfalls Hugo) Jungs früher Tätigkeit in Wien anzunehmen ist, dass dieser die Blätter unmittelbar vom Künstler erworben hatte.

Author Info
Veröffentlichungsdatum
Publikationen zur Person / Institution

Sonja Niederacher, Dossier Provenienzforschung bm:ukk – LMP, Egon Schiele "Die kleine Stadt" II, auch "Kleine Stadt" III, 16.1.2012, URL: www.bmkoes.gv.at/dam/jcr:4bc7568f-54da-4b73-89d5-dead10d0f99c/dossier_schiele_kleinestadt.pdf (3.12.2020).

Beschluss des beratenden Gremiums zur Provenienzforschung in der Leopold Museum Privatstiftung, Egon Schiele "Die kleine Stadt" II (auch "Kleine Stadt" III), 19.6.2012, URL: www.bmkoes.gv.at/dam/jcr:c68943d9-1ffb-489b-a079-e21e6ca382f7/schiele_kleine_stadt_II.pdf (3.12.2020).

Beschluss des Kunstrückgabebeirats, Hubert Jung, 5.10.2016, URL: www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Jung_Hubert_2016-10-05.pdf (3.12.2020).

Leopold Museum, Provenienzdatenbank, Egon Schiele "Die Kleine Stadt" II, URL: www.leopoldmuseum.org/de/Forschung/Provenienzforschung/datenbank/482 (3.12.2020).

Leopold Museum-Privatstiftung, Egon Schiele Datenbank der Autografen, URL: www.schiele-dokumentation.at (3.12.2020).

Archivalien

Albertina-Archiv, Egon Schiele Archiv; Hausarchiv.

BArch Bayreuth, Lastenausgleichsarchiv, ZLA 2/21036404, Hubert Jung.

BArch Berlin, R1509 Reichssippenamt, Ergänzungskarten für Angaben über Abstammung und Vorbildung aus der Volkszählung vom 17.5.1939, Hessen-Nassau / Fulda / Dirlos.

Landesarchiv Baden-Württemberg, M. 430/3 Bü 5299, Personal-Bogen, Hugo Jung.

Landeshauptarchiv Schwerin, Bestand 6.21-1/20 Nr. 257.

Landeshauptstadt Stuttgart, Kulturamt – Stadtarchiv, Geburtenregister 1883 des Standesamts Stuttgart, Eintrag zu Hubert Jung.

NARA, Records of the Property Control Branch of the US Allied Commission for Austria, USACA, abgerufen über www.fold3.com

SLA, Bezirksgericht Zell am See, Urkundensammlung.

Technische Universität München, Archiv, Personalakten Studierende, Hubert Jung.

Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlung und Archiv, NL Josef Hoffmann, Feldpostkarten von Hubert Jung 1914, 1915.

Universitätsarchiv München, Amtliche Verzeichnisse des Personals der Lehrer, Beamten und Studierenden an der königlich bayerischen Ludwig-Maximilians-Universität zu München.

Universitätsarchiv Tübingen, Studentenakte Hugo Jung, UAT 40/105, 84.

WStLA, Historische Wiener Meldeunterlagen, Meldeauskunft Hubert Jung.