Thalheim, Schloss

Schloss Thalheim bei Böheimkirchen

Blick durch eine Allee auf mehrere Gebäude, Schwarz-Weiß-Foto
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Schloss Thalheim bei Kapelln in Niederösterreich wurde erstmals im 12. Jahrhundert erwähnt. Nach zahlreichen Besitzerwechseln erwarb 1881 der Präsident der Anglobank Guido Elbogen (1845–1918), Sohn des Jungbunzlauer Rabbiners Isak Elbogen (?–1883), das Schloss. 1923 ging es an seine Tochter Jenny Weleminsky, die zusammen mit ihrem Mann Friedrich, den sie 1905 auf Schloss Thalheim geheiratet hatte, in Prag lebte. Jenny Weleminsky war eine anerkannte Esperantistin, zahlreiche literarische Übersetzungen in Esperanto stammen von ihr. 1939 wurde das Schloss zwangsversteigert und von einem aus Deutschland stammenden Kaufmann namens Alfred Laumayer erworben. 1942 geriet das Schloss in das Blickfeld der Wiener Städtischen Sammlungen. Es erfüllte die Kriterien für Bergeorte, die mit Erlass des Reichministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 12. Mai 1942 veröffentlicht worden waren: Es befand sich an einer unauffälligen Stelle, lag nicht in der Nähe militärischer Objekte oder kriegswirtschaftlicher Betriebe und bestand aus einer weitläufigen Anlage mit versperrbaren und trockenen Räumen. Im August 1943, nachdem das Historische Museum der Stadt Wien infolge des ersten Luftangriffs auf Wiener Neustadt für die Dauer des Krieges geschlossen worden war, begannen sowohl das Museum als auch die Stadtbibliothek mit den Einlagerungen im Schloss.

Zu Kriegsende zogen zunächst vor der Sowjetarmee flüchtende deutsche ZivilistInnen durch die Anlage und plünderten einen Teil der Bestände. Danach richtete die Rote Armee im Schloss ein Lazarett ein. Die Sowjetsoldaten warfen die noch vorhandenen Museumsgüter in einen Geräteschuppen, aus dem sowohl von den Soldaten als auch von der einheimischen Bevölkerung Objekte in großer Zahl entwendet wurden. Dadurch kam es zu einem beinahe vollständigen Verlust des in Thalheim eingelagerten Bergungsgutes.

Auf Grund eines Teilerkenntnisses der Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien im Jahre 1959 wurden Grundstück und Schloss an die RechtsnachfolgerInnen nach Jenny Weleminsky zurückgestellt. Der "Ariseur" Alfred Laumayer lebte zu diesem Zeitpunkt als Kaufmann in Medellin in Kolumbien. Jenny Weleminsky war es 1939 gelungen nach Großbritannien zu flüchten, wo sie weiterhin Bücher in Esperanto übersetzte und anderen Flüchtlingen Englischunterricht gab. Sie starb am 4. Februar 1957 in London und erlebte die Rückgabe ihres Eigentums nicht mehr.

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Publikationen zur Person / Institution

Karl Gladt, Die Wiener Stadtbibliothek 1939–1945, in: Amtsblatt der Stadt Wien 69, 31.8.1955, 4.

Gerhard Milchram/Michael Wladika, "Es konnte festgestellt werden, dass tatsächlich Verwüstungen und Plünderungen sowohl durch SS-Truppen als auch durch Russen und Landbewohner stattfanden". Bergungen und Rückbergungen der Städtischen Sammlungen (Museen der Stadt Wien), in: Pia Schölnberger/Sabine Loitfellner (Hg.), Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus. Mythen – Hintergründe – Auswirkungen (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 6), Wien-Köln-Weimar 2016, 219–248, doi.org/10.7767/9783205201564-012.

Archivalien

Bezirksgericht Neulengbach, Grundbuch Thalheim, EZ 8 (neue EZ 22).
Bezirksgericht Neulengbach, Urkundensammlung, GZ 878/1959 (Rückstellungsverfahren).

Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen MA 10), Kt. Bergungsorte 1. u. II, Kistenverzeichnis.